Drei langsam von den Streichern leise intonierte Klänge, daraus ergibt sich eine zarte, einschmeichelnde Melodie – der zweite Satz in Mozarts berühmter „Kleinen Nachtmusik“, Inbegriff heiterer Entspanntheit, elegischer Versonnenheit im Dämmerlicht des Abends, schließlich handelt es sich ja auch um eine Abendmusik, eine Serenade. Düster-tiefe Klaviertonfolgen, grundiert von geradezu abgrundschwarzen Bässen – der Anfang von Beethovens gleichfalls berühmter „Mondscheinsonate“ – hier ist nichts von Abgeklärtheit zu spüren, hier zieht Grauen auf, so beispielsweise die Deutung des Pianisten Andras Schiff. Die Nacht hat viele Gesichter.
„Eine kleine Nachtmusik“ Serenade
Nachtmusik Notturno Mondscheinsonate“
Mozart scheint die Nacht besonders anregend gefunden zu haben. Allenthalben wird man bei ihm in diesem Bereich fündig – angefangen beim Ständchen, das nächstens Don Giovanni einer Dame widmet, über die zahlreichen Serenaden bis hin zu den Notturnos. Abends sollten sie gespielt werden – etwa im Hause der Gräfin Antonia Lodron in Wien, für deren Salon Mozart mehrere Stücke komponierte, die er freilich nicht Nachtmusiken nannte, sondern „Cassationes“, also heitere Stücke für kleine Besetzung, wie man sie eben auch für Serenaden verwendete. Sein Vater sorgte für den Titel „Lodronische Nachtmusik“.
Mit den Namen solcher Nachtmusiken ist es ohnehin so eine Sache. Die „Mondscheinsonate“ wurde von Beethoven streng kompositorisch charakterisiert und bezeichnet: „Sonata quasi una fantasia“. Gerade der Fantasiecharakter lässt sich freilich sehr gut mit dem Abend oder der Nacht verbinden, einer Tageszeit, in der die Gedanken gern ziellos umherirren und in den verschiedensten Regionen landen können. Natürlich kann man, wie es Beethovens Zeitgenosse Ludwig Rellstab tat, in den etwas tröpfelnden tiefen Tonfolgen eine beruhigende Melodie hören und sich tatsächlich wie Rellstab an eine nächtliche Bootsfahrt erinnert fühlen, doch mindestens ebenso nah liegt die Deutung eines düsteren Trauermarsches. Die Nacht kann tröstlich erquickend sein, aber auch voller dunkler, albtraumhafter Nachtgedanken.
Und wer aus welchen Gründen auch immer Schwierigkeiten mit dem Einschlafen hat wie weiland Graf Hermann Carl von Keyerlingk und sich mit dem Geschmack von Baldriantropfen nicht anfreunden kann, der lässt sich eben zur Entspannung (oder zum Vertreib der schlaflosen Stunden) Variationen eines Themas spielen – nur eines Themas, damit der Geist nicht durch allzu viel Anregung vom Einnicken abgehalten wird. Der Cembalist des Grafen bediente sich der Noten von Johann Sebastian Bach – und hieß Goldberg. Doch auch hier dürfte der Titel der Komposition in die Irre führen, denn Goldberg war erst dreizehn, als die Variationen komponiert wurden. Wenn dies nicht wahr ist, so ist es doch gut erfunden.
Schuberts Notturno atmet eher eine serenadenhaft heitere und zugleich leicht melancholische Grundstimmung, und doch finden sich auch dunklere Seiten. Immer wieder irrt die Musik hier im harmonischen Niemandsland umher – da verliert sich jemand im nächtlichen Nachdenken.
Ähnlich wie im 20. Jahrhundert bei den Nocturnes von George Crumb: Was Schubert im 19. Jahrhundert harmonisch als Niemandsland kreierte, brachte Crumb im 20. Jahrhundert durch raffinierte Klangkonstruktionen zuwege – von Ruhe kann hier ebenso wenig die Rede sein wie bei den Bachschen Variationen.
Auch Debussys Nocturnes sind klanglich derart aufregend, dass noch lange, nachdem man ihnen gelauscht hat, an eine Nachtruhe nicht zu denken ist.
Gustav Mahler kehrte in seiner 7. Sinfonie noch einmal zurück zur Serenadenidylle der Musik der Klassik. Zweimal fügte er in diese Sinfonie Nachtmusiken ein, von ihm eigens so genannt (auch wenn der Beiname der Sinfonie „Lied der Nacht“ nicht von ihm stammt), und in der zweiten, einem „Andante amoroso“, evoziert er mit intimer Besetzung und prominent darin aufscheinender Gitarre, Harfe und Mandoline eine abendliche Genreszene. In der ersten dieser Nachtmusiken freilich eröffnet er klanglich jene Welt der Zerrissenheit, die seine Musik so häufig prägt; er sah hier ein „verhallendes Erdengeräusch im Angesicht der Ewigkeit, als letzten Gruß lebender Wesen“. Debussys Landsmann Gérard Grisey siedelte 1983 seinen Nachtgesang für die tiefe Kontrabassklarinette vollends im Totenreich an, der Totenwelt der antiken Ägypter: „Anubis“.
Je mehr man sich mit der Nacht in der Musik auseinander setzt, umso tiefer führt sie einen in die dunklen Bereiche der Existenz, die gelegentlich so düster sind, dass aus diesem Schlaf kein Erwachen mehr möglich ist. Schließlich ist streng genommen ja auch ein Requiem eine Nachtmusik – zur ewigen Ruhe.
Das 1. Kammerkonzert der Oper Stuttgart 2016/17, eine „Lange Nacht der Nachtmusiken“, präsentiert Musiken von Mozart, Schubert, Crumb und Bach. Die dunklen Seiten der Nacht bleiben eher der Dichtung vorbehalten wie etwa dem „Abschied“ von Else Lasker-Schüler. Musikalisch wäre Stoff genug für weitere lange Nächte, auch wenn sie dann dunkler ausfallen dürften. Stuttgarter Liederhalle, Mozartsaal 19.10. 2016, 19.30 Uhr