Zwischen Realität und Symbol. Der Malergraphiker Walter Eberhard Loch in der Kunststiftung Hohenkarpfen

Es ging ihnen um den Ausdruck innerer Befindlichkeit, den Künstlern des Expressionismus. Da war nicht äußerer Realismus von Bedeutung, weshalb sich diese Künstler nicht selten unrealistischer Farbgebung bedienten und eines sehr subjektiven Pinselstrichs. Einen ganz anderen Expressionismus zeigt die Kunststiftung Hohenkarpfen bei Spaichingen mit dem, wie er sich selbst bezeichnete, akademischen Malergraphiker Walter Eberhard Loch.

Blühende Bäume

Es ist ein Bild wie aus dem Lehrbuch des Expressionismus: Mit dicken Pinselstrichen ist die Baumkrone gestaltet, die gedeckten grünlichgrauen Farbtöne könnten von Paul Cézanne inspiriert sein. Zugleich aber verrät das Spiel des Lichts auf den Blüten intime Kenntnis der impressionistischen Malerei, und die feinen Farbvaleurs haben so gar nichts mit dem kräftigen Farbauftrag eines Ernst Ludwig Kirchner oder eines Erich Heckel zu tun. Walter Eberhard Loch hat einen ganz eigenen Stil entwickelt, und wenn er Porträts malte, dann wirken diese Bilder nicht selten erstaunlich nüchtern und sachlich, also gänzlich „unexpressionistisch“.

Und doch ist es durchaus passend, diesen Künstler als Expressionisten zu bezeichnen, nur sind seine Bilder weniger malerischer Ausdruck innerer Befindlichkeit, subjektiver Empfindungen. Seine Bilder sind Visionen, sie arbeiten das Wesen dessen heraus, was sie darstellen. Die Ruderer auf einer Galeere beispielsweise sind keine Individuen, das würde auch dem Funktionieren einer Galeere widersprechen; es sind Körper, die ganz auf ein Ziel ausgerichtet sind. Die Rücken wirken wie angespannte Muskelpartien, die Figuren sind keine Einzelwesen, sondern gleichen Rädern in einem Getriebe. Das ist die Galeere schlechthin, und das Schiff scheint gerade dadurch pfeilschnell durch das Wasser zu schießen.

Wenn Loch Tempo zum Ausdruck brachte, war er in seinem Element. Tempo begeisterte ihn, der von Kindheit an gehbehindert war, fast manisch, daher arbeitete er auch eine Zeitlang als Sportzeichner für Zeitungen. Wenn er ein Radrennen porträtiert, dann meint man geradezu zu sehen, wie atemberaubend schnell die Räder ihre Bahnen in der Arena ziehen.

Seine ausdrucksstärksten Bilder galten dem Tanz. In Dresden lernte er Mary Wigman kennen, die das Ballett durch ihren Ausdruckstanz revolutionierte, der noch heute inspirierend wirkt. Es handelt sich bei diesen Körperstudien zwar immer nur um Momentaufnahmen, geronnene Bewegungen also, und doch meint man, einem bewegten, dynamischen Tanz beizuwohnen – die Körper sind in der Hocke gespannt, scheinen sogleich an Ausdruck explodieren zu wollen.

Tanzszene mit weißem Harlekin

Die Tanzszene mit weißem Harlekin ist mehr als nur eine Momentaufnahme einer Tanzvorstellung, sie ist geradezu der ekstatische Rausch des Tanzes schlechthin.

Immer wieder werden solche Bilder, die das Wesen des Motivs herausstellen, zu symbolischen Darstellungen. Ein Bild zum Thema „Rauchen“ zeigt weniger den Rauchgenuss, als vielmehr die Sucht, wie die Frau den Rauch inhaliert und ausstößt, wie eine Hand gierig nach einer Zigarette greift, wie ein Gesicht zum Totenschädel mutiert.

Selbstbildnis – Viermal Ich, um 1925

Loch macht existentielle Situationen deutlich. Wer bin ich und wenn ja wie viele heißt ein Buch des Philosophen Richard David Precht, Loch hat dafür schon Jahrzehnte zuvor das Bildsymbol gefunden. Er zeichnete ein Selbstporträt, in dem er vier Facetten seiner selbst darstellt – den Bildhauer, vertreten durch eine Kopfbüste, den Druckgraphiker mit einer Säurebadschale in der Hand, den Maler und den Privatmenschen als Salonlöwen: Realität mutiert zum Symbol. In einer Serie von Pastellzeichnungen gestaltete Loch regelrechte Alptraumszenen, in denen einem unheimlicheTiere mit gefährlich funkelnden Augen aus der Nacht entgegenblicken, derweil in einer anderen Szene ein Wegkreuz mit dem Gekreuzigten die Nähe des Todes evoziert. Das Bild einer Lokomotive wirkt wie das Porträt einer bedrohlichen Maschine. Das ist weniger malerischer Ausdruck innerer Befindlichkeit, als vielmehr Gestaltung innerer Visionen von der Welt – auch ein Expressionismus.

Wie drastisch so etwas ausfallen kann, zeigt ein Gemälde, das vom Titel her wie eine privates Gruppenporträt wirkt. Drei Namen bezeichnen das Bild, der zweier Frauen und der des Künstlers selbst. Zu sehen aber ist ein Stillleben dreier Kopfmasken – ein Memento mori sondergleichen. Er bewege sich zwischen Sinnlichem und Übersinnlichem, meinte Loch einmal, man könnte auch sagen, zwischen der Welt, wie wir sie kennen, und deren symbolischer Wesenserkenntnis, zwischen Realität und innerem, eigentlichem Wesen.

WEL. Walter Eberhard Loch“, Kunststiftung Hohenkarpfen bis 7.11.2021

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