Wenn zwei dasselbe vor Augen haben, heißt das nicht, dass sie auch dasselbe sehen, denn „sehen“ heißt, sich ein Bild von etwas machen, und Bilder unterscheiden sich. Das lässt sich jetzt an einer Ausstellung in der Kreisgalerie Schloss Meßkirch nachvollziehen. Hier sind Bilder von Jenny und Peter Reininger zu sehen.
Peter Reininger, Santorini III (2023). Foto: U. Schäfer-Zerbst
Vater Peter hat viele Reisen mit seiner Tochter Jenny unternommen, und das blieb nicht ohne Niederschlag. Santorini heißen einige Bilder von Vater und Tochter, auch in Prag waren sie wohl, in Paris. Und doch: wie unterschiedlich sind die Reminiszenzen ausgefallen. So wie Peter Reininger mit dünnem Federstrich skizzenhaft die Faszination des griechischen Santorin festhielt, meint man geradezu, die quaderförmigen weißen Gebäude einer südlichen Stadt vor sich zu sehen, man erkennt Kuppeln von Kirchen, Türme, wenn auch nur skizzenhaft angedeutet. Reininger fängt die Schwerelosigkeit dieser Szenerie ein und auch die fast gleißende Helle der Sonne auf den weißen Hausfassaden. Das alles geradezu beiläufig mit wenigen Strichen.
Jenny Reininger, Santorini (Serie) (2022). Foto: U. Schäfer-Zerbst
Ganz anders seine Tochter Jenny, die noch an der Akademie studiert, gleichwohl alle künstlerischen Techniken und Ausdrucksformen perfekt beherrscht. Bei ihr geht man gewissermaßen durch die Gassen eines Städtchens zwischen den dort hoch aufragenden Hausfassaden. Auf ihren Bildern sieht man nicht helle luftige südliche Architektur – fast schon ein Klischee von Zeichnungen aus dem sonnigen Süden –, sondern eher die Enge der Straßen, die eben auch zu diesen Städten gehört, und durch ihre Gestaltung sieht man die Enge nicht nur, man meint zugleich auch, sie geradezu körperlich zu spüren.
Der Grund dafür, und das unterscheidet die „Reiseerinnerungen“ der Tochter von denen des Vaters, liegt darin, dass sich bei ihr die Bildinhalte in einzelne Flächen auflösen; hier treffen sich ihre Kunst der formalen Gestaltung und die des Umgangs mit der Farbe, die stellenweise wie auf das Blatt „gehaucht“ wirkt und so die Gratwanderung zwischen gegenständlicher Assoziation und Abstraktion auch malerisch fortsetzt. Das kann man als Straßenpflaster und Hauswand erkennen, aber stets auch als rein abstrakte Flächen. Was bei Peter Reininger fast touristisch wirkt – nicht zufällig sind bei ihm Passanten wesentlicher Bestandteil so mancher seiner Großstadtszenen –, wird bei ihr symbolhaft. Das wird noch deutlicher beim Thema Prag. Auf den gleichfalls skizzenhaft wirkenden Stadtporträts des Vaters meint man, die Kuppel der Nikolauskirche zu erkennen, bei Jenny Reininger dagegen hat man eher das Gefühl, in die geheimnisvollen Gassenschluchten einer alten Stadt zu tauchen, in denen ein Golem sein Unwesen getrieben haben könnte. So erhalten ihre Bildszenen etwas Allgemeines, vom konkreten visuellen Anlass Losgelöstes; sie nennt eine Serie auch einfach nur allgemein Stadt. Die Großstadtszenen von Peter Reininger dagegen bleiben sehr viel enger am optischen Eindruck, der sie ausgelöst hat, mitsamt dem Großstadttreiben, das die Straßen prägt.
Jenny Reininger, Outback IV (2023). Foto: U. Schäfer-Zerbst
In Jenny Reiningers Serie zur Wildnis des australischen Outback lösen sich die Formen der Landschaft fast ganz in abstrakte Flächen auf, wobei es ihr gelingt, den Linoldruck mit übereinander gedruckten Nuancen in Grautönen geradezu malerisch wirken zu lassen. Solche Abstraktion findet sich bei Peter Reininger immer dann, wenn er auf Details wie Spaziergänger verzichtet. Wie nahtlos sich das Abbild einer Realität – in diesem Fall die atemberaubenden architektonischen Konstruktionen von Industrieanlagen – in reine Strichcollagen und damit geradezu fantastische Szenerien entwickeln kann, zeigt Peter Reininger in einer Serie zu Hochöfen im Ruhrgebiet.
Peter Reininger, dunkler Monolith (2014). Foto: U. Schäfer-Zerbst
Manche seiner großformatigen Bleistiftzeichnungen wirken wie die Porträts von Felsformationen – er nennt sie denn auch nicht selten „hochalpin“ oder „Monolith“. Bei genauem Hinsehen erkennt man, dass es sich im Grunde um Collagen völlig naturfremder Bildelemente handelt; Vorlagen für diese Zeichnungen waren zum Teil geknüllte, zum Teil gerissene Papierstücke. Hier entstand mit Bleistift auf Papier eine Welt, die es so in der Realität gar nicht geben kann; Kunst erschafft hier eigene Welten. Dasselbe gilt für seine faszinierenden farbigen Kreidezeichnungen, auf denen er mit unzähligen Strichen wahre Lichtexplosionen kreiert – Lichträume, die an Kathedralen erinnern, aber doch nichts als Kreide auf Papier sind –, so wie die Szenen aus Prag von Jenny Reininger sich bei genauerem Hinsehen in lauter transparente grauweiße Farbflächen aufzulösen scheinen. Das ist gegenständliche Zeichnung und zugleich abstrakter Einsatz zeichnerischer Mittel, konkretes Abbild und künstlerische Vision.
„Künstler-Nachbarschaften IV – Peter und Jenny Reininger“, Kreisgalerie Schloss Meßkirch bis 2.6.2024