Wer den Begriff Landschaft hört, hat in der Regel konkrete Vorstellungen. Landschaft ist nicht einfach nur ein Stück Natur, Landschaft hat eigenen Charakter, sei es eine Berglandschaft, Seenlandschaft oder gar eine Stadtlandschaft. Sie hat ein Wesen, ist gewissermaßen ein Bild der Natur, weshalb letztlich die Malerei prädestiniert für dieses Thema ist. Dass es sich auch im Jahrhundert der abstrakten Malerei eignet, zeigt die Galerie Schlichtenmaier nun anhand von ausgewählten Landschaftsbildern aus einhundertfünfzig Jahren.
Wilhelm Geyer, Blühender Garten, 1940
Zwei Bilder hängen im ersten Ausstellungsraum nebeneinander, und man meint, sie hätten beide dasselbe Ziel – die Apotheose des Blühens, und doch könnten sie unterschiedlicher nicht sein. 1940 malte Wilhelm Geyer seinen blühenden Garten und löste dabei die Blüten in eine Explosion von Weißtönen auf. Fünfzig Jahre später malte Anna Bittersohl eine blühende Explosion in Rot, und doch ist das Vorgehen beider Künstler geradezu gegensätzlich. Geyer wollte mit Pinsel und Farbe seinen Eindruck von seinem Garten auf Leinwand wiedergeben, also ein Motiv festhalten.
Anna Bittersohl geht es zunächst einmal rein um den Umgang mit Farbe. Das ist nicht gegenständlich, sondern abstrakt, und wenn sie dann am Ende gegenständliche Assoziationen hat, ist das möglicherweise Zufall, dem sie dann mit nachträglich aufgemalten Blüten Rechnung trägt. Der eine malt ein Motiv mit Pinsel und Farbe, die andere malt zunächst einfach nur und entwickelt aus dem Umgang mit der Farbe ein Motiv.
Dieser Paradigmenwechsel prägt vor allem die Bilder der letzten Jahrzehnte. Auch Cordula Güdemann ist reine Malerin. Wenn sie dann entdeckt, dass das Gemalte durchaus Ähnlichkeit mit einem Wiesenstück hat, fügt sie eine Rasenschicht hinzu und nennt das Ganze dann ironisch Gras drüber. Ein anderes Mal entwickelt sie malerisch eine regelrechte grüne Farbsymphonie und nennt das Dieses Grün. Da wird im Farbgeschehen nachträglich Gegenständliches entdeckt. Ähnliches findet sich bei Bernd Zimmer, in dessen manchmal fast gefährlich grün wirkenden Bildern man Urwaldszenen entdecken mag, doch hat man eigentlich nur abstrakte Malerei in Grün vor Augen.
Streng genommen handelt es sich bei solchen Bildern allerdings weniger um Landschaften als vielmehr um malerische Auseinandersetzungen mit Natur oder Natürlichem. Denn Landschaft ist mehr als reine Natur, sie ist gewissermaßen ein Bild von der Natur, Natur mit einer gewissen Charakteristik. So etwa bei Ralph Fleck. Auch er geht eindeutig vom Malprozess aus. Mit breitem Pinsel setzt er dicke Farbstriche auf die Leinwand, die genau als das erkennbar sind, und doch entwickelt er mit raffinierter Pinselführung den Eindruck eines Gebirgsmassivs – abstrakte Malerei schließt gegenständliche Motivdarstellung nicht aus.
Abstrakte Malerei kann aber auch ganz abstrakt bleiben und doch im Betrachter die Ahnung einer Landschaft auslösen. Willi Baumeister hat dieses Kunststück oft zuwege gebracht, wenn er etwa abstrakte biomorphe Formen auf der Leinwand verteilt und den Eindruck einer Inselwelt evoziert. Willi Müller-Hufschmid zauberte aus geometrischen Grundformen eine Gebirgslandschaft.
Das sind dann in der Tat echte Landschaften – aber auch die impressionistisch wirkenden Farbfleckenlandschaften von Hans Schreiner, denen jede Realitätsnähe abgeht und die doch wie Landschaften wirken.
Wie sehr gerade Landschaftsbilder von der Farbe her gedacht werden, zeigen auch die älteren Beispiele. 1848 schuf Christian Morgenstern eine zauberhafte Abendlandschaft in warmen Gelb- und Ockertönen. Felix Hollenberg entdeckte in zwei Birkenstämmen ein harmonisches Farbgeschehen zwischen den beiden Motiven und der Waldumgebung. Landschaft in den Augen von Malern ist offenbar fast immer verbunden mit einem intensiven Farbgeschehen, ob ganz in Blautönen bei einer Meerlandschaft von Christian Landenberger oder einem bunten, expressiven Farbenspiel bei Manfred Henninger, der 1977 in einer Kombination aus impressionistischem und expressionistischem Malstil den Stuttgarter Max-Eyth-See verzauberte.
Faszinierend wird das Spiel mit Landschaftseindrücken, wenn die Fantasie des Betrachter gefragt ist. Dieses Phänomen hat Rudolf Schoofs schon im Titel eines Bildes deutlich gemacht. Mit Landschaftsbezug heißt es, zu sehen ist nicht der Hauch einer Landschaft, aber durch die raffiniert hingehauchten Farbstriche und die Wahl von Grün-, Gelb- und Ockertönen ergibt sich die Ahnung einer Landschaft, ein Landschaftsgefühl im Betrachter. Auch das sind Landschaftsbilder, die keine konkrete Landschaft zeigen.
„150 Jahre Landschaftsmalerei“, Galerie Schlichtenmaier, Schloss Dätzingen bis 30.10.2021