Geheimnisvolles Licht strahlt im Raum. Es scheint aus dem Nichts zu kommen oder aus fernen Welten und gibt dem Betrachter Rätsel auf. Allerdings muss der Raum dunkel sein, der Betrachter sich in einer schwarzen Höhle befinden; bei Tageslicht verschwindet das Phänomen, da steht man vor farbenfrohen Gemälden, wie man sie von einem Maler erwartet: gemalt mit Pinsel und Farbe. Hans-Werner Stahl mischt seiner Farbe Partikel bei, die bei normaler Beleuchtung unsichtbar sind, bei Schwarzlicht aber ihr farbiges Eigenleben entwickeln.
Wenn man Stahls Atelier in Rottenburg betritt, dann bilden diese Gemälde allerdings nur einen Teil seines Schaffens. Es gibt Künstler, die man sofort unschwer an ihrer Handschrift erkennen kann, bei Stahl dürfte man sich da schwer tun. In seinem Atelier finden sich abstrakte Skulpturen und Gemälde, Meditationsobjekte und figürliche Darstellungen. Ein Grund dafür mag darin liegen, dass Stahl erst spät zur Kunst gefunden hat. Seine berufliche Karriere führte ihn als Professor an die European School of Business in Reutlingen. Dann erst beschäftigte er sich intensiv mit der Kunst und ließ sich als Bildhauer ausbilden.
Und dennoch gibt es in seinem Schaffen einen roten Faden. Stahl beschäftigt sich in seinen Arbeiten mit Grundsituationen des Menschen. So finden sich unter seinen Skulpturen nicht selten Gestalten, die emotionale Extreme verkörpern – die Gier zum Beispiel. Bei Stahl frisst sie buchstäblich das Haupt von innen her auf – Gier entsteht im Kopf. Häufig befasst er sich mit philosophischen Fragen. „Der Alte“ heißt ein Kopf aus Bronze. Die Arbeit könnte auch ganz allgemein „Alter“ heißen, denn melancholisch blickt dieser Mann in die Ferne, als suche er dort ein Ziel, von dem er genau weiß, dass er es nicht finden kann. Seine Zukunft ist ungewiss, das Ende seiner irdischen Existenz dagegen nur zu gewiss.
Stahl begann als Bildhauer – Holz zieht ihn immer wieder besonders an. So schuf er eine Plastik, in der sich aus einem hohlen Stamm eine menschliche Figur herauszulösen scheint – oder aber mit dem Stamm wieder zu einem Stück Natur verschmelzen möchte. Man denkt an Daphne aus der griechischen Mythologie, die in einen Baum verwandelt wurde, man ist konfrontiert mit dem Kontrast zwischen roher, unbehandelter Natur – dem Stamm – und gestalteter figürlicher Plastik.
Dieses Hin und Her zwischen Extremen findet sich auch in seinen abstrakten Gemälden. So hat er eine ganze Reihe von monochromen Bildern geschaffen. Aber genau genommen sind die Bilder nicht monochrom. Stahl hat seiner Farbe feste Partikel beigemischt, und so kann man auf solchen Bildern eine Art Gebirgszug erkennen – gesehen aus großer Entfernung, als befände sich der Betrachter auf einem fernen Stern im Universum. So ist es kein Zufall, dass Stahl in letzter Zeit auch immer wieder kosmische Welten gestaltet hat – abstrakte Gemälde, bei denen man unversehens an ferne Planeten in der Galaxis denkt.
Und auch bei diesen Gemälden findet sich der Aspekt der Grenzsituation wie bei seinen Plastiken. Der Betrachter ist in seiner Deutung hin- und hergerissen zwischen abstrakten und gegenständlichen Assoziationen. Aber hier geht Stahl noch einen Schritt weiter. Durch die Beimengung von lichtaktiven Partikeln führen diese kosmischen Bilder eine Doppelexistenz. Bei Tageslicht betrachtet sind es eindrucksvolle Gemälde, auf denen die Farbe durch feste Stoffe eine solide Materialität erhalten. Im dunklen Raum verlieren die Bilder unter der Einwirkung von Schwarzlicht jede Materialität. Da verlieren die Bilder plötzlich ihre Erdverbundenheit; die Farbe, auf Gemälden an einen Farbträger gebunden, also als Materie sichtbar, ist bar jeder Körperlichkeit. Sie wird reine Farbe, die Bilder scheinen grenzenlos zu werden, aus Farbe wird Licht und Raum, in dem man sich verlieren kann.