Am Anfang dürfte die Notwendigkeit gestanden haben, neue Nahrungsgründe aufzutun – nicht auf dem Erdboden, sondern im Wasser –, und so war die Entdeckung, dass schlichte Holzstämme, sorgsam ausgehöhlt, in der Lage sind, sich selbst sowie Menschen und Gegenstände über Wasser zu halten: Die Schifffahrt war geboren. Die Weiterentwicklung physikalischer Erkenntnis erlaubte den Bau selbst großer Wasserfahrzeuge, die in unseren Tagen durchaus auch aus schwerem Stahl bestehen und mehrere tausend Menschen tragen können. Doch die Schifffahrt hat auch eine Kehrseite: Ob Titanic oder das Floss der Medusa – immer wieder sah sich die Menschheit mit dem möglichen katastrophalen Ausgang einer solchen Seereise konfrontiert, und Künstler haben sich des zwiespältigen Wesens dieser Forstbewegungsmöglichkeit angenommen, so jetzt in einer Ausstellung in de Kreissparkasse Rottweil.
Eine Schifffahrt, die ist lustig, eine Schifffahrt, die ist schön – nach diesem Lied scheint Julia Steinberg ihre Bilder mit Booten aller Art gestaltet zu haben: Farbenfroher geht es kaum mehr, gute Laune ist gewiss – vielleicht auch eine kindliche Freude, wie sie sich bei Daniel Wagenblast findet. Aus Dutzenden von Kinderzeichnungen hat er Boote gefaltet, wie sie jedes Kind wohl schon irgendwann einmal zu Wasser gelassen hat, sei es im Bach am Dorfrand, sei es in der Badewanne. Doch diese Boote, so fröhlich sie auch wirken mögen, haben auch die Kehrseite des Phänomens, denn das Papier, aus dem sie gebastelt sind, saugt sich mit Wasser voll, der Schiffbruch ist vorprogrammiert.
Dieses Scheitern scheint Künstlerseelen weit mehr anzuziehen als der ungetrübte Frohsinn. So durchzieht ein Memento mori die Ausstellung. Werner Pokorny hat einen Schiffsrumpf aus Holz geformt – genauer: aus schwarz gebranntem Holz: Ist das nun der Rest einer Katastrophe oder der Versuch, aus schadhaftem Material noch Sinnvolles zu recyceln, und wenn Letzteres, ist es nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt? Der Rumpf nämlich ist unten offen, das Gebilde dürfte sich über Wasser halten, keineswegs aber auch Menschen transportieren können.
Ruprecht von Kaufmann porträtiert ein kleines Boot, in dem ein einzelner Ruderer verzweifelt gegen eine riesige Welle ankämpft, ohne Aussicht auf Hoffnung. Und Thomas Borstorff hat aus rostigen Fundstücken vom Strand Fantasieschiffe gebastelt, bei denen man sich unversehens fragt, ob es angeschwemmte Reste gescheiterter Kähne sind oder Spielereien eines Bastlers.
Im Grunde ist ein Schiff leicht herzustellen, Künstlern, die nach Abstraktion streben, bietet es sich geradezu an. Jürgen Knubben hat das Boot auf seine Grundprinzipien reduziert: Es reichen einige gebogene Querstreben, die durch einen längs verlaufenden Strang zusammengehalten werden – nicht unähnlich dem menschlichen Brustkorb. Vielleicht fühlt man sich auch deswegen in einem kleinen Kahn unter strahlendem Sonnenlicht so geborgen wie in Adams Schoß.
Es sei denn, man habe in einem solchen Boot bereits die Grenze zum Tod hin überschritten wie Romeo und Julia, die Jürgen Brodwolf als Leichenwesen aus weißlicher Gaze in eine alte Brotteigwanne gelegt hat – und so auf seine Weise auf die Verbindung von Schwimmfähigkeit und Untergangsgefahr hinweist.
Wie heikel eine Schifffahrt sein kann, zeigen die zahlreichen gescheiterten Versuche von Flüchtlingen in unseren Tagen, per Boot in eine bessere, sicherere Welt zu entkommen. Jörg Bach hat aus ineinander verschachtelten Metallklötzen „Seelenverkäufer“ gestaltet, Gebilde, die Schiffen ähnlich sind, aber zum Schwimmen ungeeignet. Den Auftakt des Ausstellungsrundgangs (und auch dessen Ende) bildet ein Schiff, das streng genommen nicht des Schwimmens fähig sein dürfte.
Willi Bucher hat einen Marmorblock aus Carrara so lange ausgehöhlt, bis er die Form eines Ruderbootes hatte – und sich tatsächlich über Wasser hält. Hier dürfte der Besucher von heute ähnlich erstaunt sein, wie jener erste Vorläufer vor Tausenden von Jahren, als er einen ausgehöhlten Baumstamm zu Wasser ließ und feststellen durfte, dass auch Schweres sich über Wasser halten kann.
„SchiffArt: Malerei – Skulptur – Objekt“, Kreissparkasse Rottweil bis 21.8.2016. Katalog 10 Euro