Es gibt viele Aspekte, die sich mit dem Namen HAP Grieshaber verbinden lassen. Der gelernte Schriftsetzer war ein Erneuerer des Holzschnitts im 20. Jahrhundert, ein erbitterter Gegner totalitärer Systeme, ein Kämpfer für die Freiheit und für den kleinen Mann. Das Kunstmuseum Reutlingen, das neben der Staatsgalerie Stuttgart über den größten Bestand an Werken von Grieshaber verfügt, zeigt nun eine weitere Facette, die sich durch sein Schaffen zieht – das Verhältnis zwischen Mann und Frau: Liebespaare.
Zum Titel ihrer Ausstellung ließ sich die Kuratorin Anna Nerobova durch einen Holzschnitt von HAP Grieshaber anregen, mit dem ihre Auswahl chronologisch schließt. 1979 gestaltete er in schwarzer Farbe mit einem filigranen Liniengeflecht ein Liebespaar, aus dessen inniger Umarmung Flammen lodern – Symbol für die Leidenschaft, aber auch die Gefahr, die in diesem Gefühl lauert. Zwei Jahre danach starb der Holzschneider.
Als er sich zum ersten Mal in seinem Schaffen dem Thema Liebespaar zuwandte, gestaltete er freilich eine durch nichts getrübte Beziehung: Mann und Frau bilden eine kompakte Bogenform, und doch machte Grieshaber deutlich, dass es sich um zwei Individuen handelt – den Mann in Blau, die Frau in Orange. Nichts kann diese beiden Menschen trennen – und diese untrennbare Harmonie blieb auch in den Folgejahren: Mal gehen die beiden eng umschlungen durch die Natur, mal sitzen sie in einem Wagen, geschützt durch ein sich über ihnen wölbendes Dach.
Dass die Liebe für Grieshaber mehr als nur etwas Irdisches war, sondern die berühmte „Himmelsmacht“, zeigte er 1939 auf einem Holzschnitt, auf dem das Paar unter dem Schutz einer Lichterscheinung in einem Busch zu stehen scheint.
Immer wieder suchte und fand Grieshaber symbolische Darstellungsformen. Waren es zu Beginn die Körperformen der beiden Protagonisten, weitete sich das Spektrum später hin zu allgemeinen Themen wie der Fruchtbarkeit. Hier bildet das Paar die Wurzel eines über ihm austreibenden Baums. Vor allem war die Liebe für Grieshaber offenbar etwas im Wesen des Menschen Liegendes. Oft sind seine Paare integriert in die Vegetation unberührter Natur.
Allerdings lässt der Titel des letzten Holzschnitts in der Ausstellung vermuten, dass Liebe für ihn auch etwas Gefährdetes war, zu der die Trennung gehört. In dem Holzschnitt Scheidung drängt sich ein weißer Keil zwischen die beiden einstmals ja wohl Verliebten; Grieshaber verarbeitete da seine Scheidung von seiner ersten Frau, und das Messer in der Hand des Mannes deutet darauf hin, dass er nicht unschuldig ist an der Trennung.
Lange blieb Grieshaber freilich nicht allein; ein Jahr danach heiratete er die Malerin Riccarda Gohr, die ihn als Lehrer an die Kunstschule im ehemaligen Kloster Bernstein berufen hatte. Dieses Ereignis hielt er im Holzschnitt Huldigung (Standesamt) fest, auf dem der Mann vor der Frau auf die Knie fällt, und wieder ein Jahr danach entstand der fast abstrakte Holzschnitt Elysium.
Und auch die endgültige Trennung gehört zum Thema Liebespaar. In seinem Totentanz von Basel porträtierte er die Herrschenden nicht im Kreis ihrer Höflinge, wo ihnen der Tod entgegentritt, wie man es von früheren Totentanzdarstellungen her kennt, hier ist der Tod an die Stelle des Liebespartners getreten.
Liebe hatte für ihn aber auch etwas Ekstatisches: Als er sich Ende der 60er Jahre noch einmal in einem Zyklus der Schwäbischen Alb widmete, fielen die Liebesbekundungen fast schon jugendgefährdend aus.
Dabei blieb Grieshaber immer einer hochgradig symbolischen Bildsprache treu, ohne die Bindung an die Figürlichkeit zu verlieren. So zeigt die Ausstellung zugleich seine Entwicklung vom linearen zum flächigen und vor allem farbigen Holzschnitt; der Besucher kann nachvollziehen, wie er die Grenzen des Holzschnitts, der traditionellerweise auf kleine Formate beschränkt war, ins Riesige weitete und große Holzflächen, sogar ganze Zimmertüren als Druckstöcke verwendete.
Und man trifft immer wieder auf seinen zum Teil etwas kauzigen Witz. So bilden in einem der Alb gewidmeten Holzschnitt die Beine von Mann und Frau die Zitzen des Euters einer Kuh, in deren Leib sich die beiden umarmen.
Die vielleicht rätselhafteste dieser skurril-witzigen Arbeiten trägt den kryptischen Titel KSK ES-NT. Bildinhaltlich scheint sie eine Rückkehr zu den Anfängen – Mann und Frau in enger Umarmung. Als Motiv ist die „Vereinigung am Neckar“ angegeben, und die grüne Färbung des Paares lässt auf ein Flussufer als Schauplatz schließen. Gemeint jedoch ist mit dieser Liebesbeziehung der Zusammenschluss der Kreissparkassen Esslingen und Nürtingen, beide Städte am Neckar gelegen. Ob es sich dabei um eine Heirat aus Liebe gehandelt hat, mag man den Annalen der beiden Häuser entnehmen, jedenfalls hat sie bis heute gehalten, was nicht von allen Liebespaaren zu behaupten ist, auch nicht bei Grieshaber.
„Die Liebe ist ein Hemd aus Feuer. Liebespaare bei HAP Grieshaber“, Kunstmuseum Reutlingen bis 25.9.2022