„Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis in den Himmel! So wollen wir uns einen Namen machen, damit wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen.“ Mit diesen Sätzen beginnt eine der folgenschwersten Begebenheiten in der Bibel. Aus Angst, die Menschen könnten übermächtig werden, zerstörte Gott das Werk, zerstreute sie in alle Richtungen und verwirrte ihre Sprache. Der Turm gilt als Symbol des Himmelstrebenden, aber auch der Hybris und des Scheiterns – und doch hört in allen Kulturen das Streben nach oben nicht auf, vom höchsten Kirchturm der Welt in Ulm bis zum – derzeit! – höchsten Bauwerk der Erde in Dubai. Verglichen damit ist der Turm, der jetzt in Rottweil vollendet wurde, in seinen Dimensionen harmlos – und doch zugleich gigantisch bis gigantomanisch, dient er doch einzig dem Test des nach oben Fahrens, der Fahrstühle, damit sie in den immer höher werdenden Gebäuden Einsatz finden können. Dass auch Künstler von diesem Menschheitstraum nicht unbehelligt blieben, zeigt eine Ausstellung im Rottweiler Dominikanermuseum und – natürlich – im Testturm vor den Toren der Stadt.
Unsicher scheint er zu schwanken, der Turm zu Babel, den Klaus Hack aus Pappelholz gefertigt hat, immer schiefer lagern sich die Schichten übereinander, immer dünner und fragiler werden sie nach oben hin – hier muss kein Gott vom Himmel steigen, um das Menschenwerk zu zerstören, dieses Werk wird von selbst einstürzen.
Aber ist alles himmelwärts Strebende Gott zuwider? Die Gotik mit ihren spitz nach oben ragenden Gebilden und Türmen könnte man interpretieren als den von der Kirche sanktionierten alttestamentarischen, von Gott zerstörten Turm von Babelei.
Zwar streben sie mit ihren Turmfantasien durchaus himmelwärts, aber die Künstler scheinen doch auch Realisten zu sein und sehen die Unmöglichkeit des unendlich nach oben Drängenden. Vor allem zeigen sie, dass das alles kein Hexenwerk ist. Ein Turm zieht sich nicht einfach von selbst nach oben, er wird aufgebaut – aus lauter kleinen Einzelteilen. Eberhard Freudenreich gestaltet seinen Turm aus Pappe durch Faltung – und zeigt im Titel das Prinzip des Turmbaus: Addition. Immerhin: Im Kleinen sieht es so aus, als könne damit durchaus eine beachtliche Höhe erreicht werden, wenn auch nicht eine unendliche, wie es Constantin Brancusi mit seiner „endlosen Säule“ vor hundert Jahren nahelegte. Jürgen Knubben,der diese künstlerische Turmschau zusammengestellt hat, folgt Brancusis Vorbild spielerisch, indem er einen Turm aus pflanzentopfähnlichen Modulen aufbaut, der zwar schon nach wenigen Zentimetern ein wenig schief wirkt, aber standfest ist.
Standfestigkeit aber muss nicht das Ziel eines Künstlers sein. Jo Schöpfer konstruierte aus Holzlatten ein turmähnliches Gebilde, das freilich größerer Belastung gewiss nicht standhält. Der Künstler weist auf die Unmöglichkeit hin. Vor allem darf er Gedankenspiele realisieren, ist nicht an Statik und Belastbarkeit gebunden wie der Architekt. Er kann die Idee des Turmes an sich in den Raum stellen wie Henner Kuckuck. Er hat einfach einen Draht um eine Rolle gewickelt und um einen schiefen Stab drapiert – ein Turm, gewiss, aber doch eher die Anmutung von einem Turm.
Apropos schief. Die Pisaner hatten mit ihrem Turmprojekt schon vor über 800 Jahren Pech – und können bis heute mit einer Sehenswürdigkeit aufwarten. Was Architekten nicht vermögen – künstlerischer Fantasie gelingt es spielend, den schiefen Turm wieder aufzurichten.
Timm Ulrichs konstruierte eine Wippe: auf der einen Seite der Turm, natürlich schief, auf der anderen eine Kerze, gerade. Sollte sie nun abbrennen, würde sich das Gewicht auf ihrer Seite verringern, die Wippe würde sich bewegen, der Turm gerade richten.
Es ist das Vorrecht der Künstler, Utopien zu verwirklichen, sei es nun in der Fantasie, oder auch im Spiel, denn kaum ein Kind, das nicht versuchte, mit Hölzern oder Steinen einen Turm zu errichten, bis er umkippt – oder durch übermütige kindliche Handbewegung absichtlich zum Einsturz gebracht sind. In der Ausstellung darf auch der erwachsene Besucher mit solchen Steinchen spielen. Alf Setzer hat sie zur Verfügung gestellt – ein Turmbaukasten.
Aber vielleicht steckt hinter all diesem Drang nach Höherem auch nur eine menschliche Grundsituation, schließlich hat sich der homo erectus, indem er sich auf zwei Beine erhob, selbst zum Turm erhoben. Nur sollte er nicht versuchen, gleich nach den Sternen zu greifen, denn dann könnte er allzu leicht auf die Nase fallen. Hoch-Mut kommt vor dem Fall.
„Turm-Bau. Turm-Modelle in der zeitgenössischen Skulptur“. Dominikanermuseum und thyssenkrupp Testturm, Rottweil, bis 18.2.2018. Katalog 92 Seiten