Es ist einer der großen Filmklassiker, der Inbegriff schwarzen Humors: Brave Bürgerlichkeit trifft auf unverhohlenen Wahnsinn, und dieser Wahnsinn hat auch noch Methode. Arsen und Spitzenhäubchen war ein Erfolgshit am Broadway und mit Cary Grant auch auf der Filmleinwand. Das war vor über siebzig Jahren, und immer noch bringen Theater den Dauerbrenner auf die Bühne – jetzt das Schauspiel Stuttgart, und es holte sich dazu den Spezialisten für psychologisch tiefschürfende Dramen, Jan Bosse, als Regisseur.
Dreimal dreht sich die Bühne von Moritz Müller in dieser Inszenierung, und das mit gutem Grund. Vorn zeigt das Bühnenbild eine geordnete, bieder-brave Wohnzimmerwelt der beiden alten Damen Brewster, doch das alles ist nur Fassade, dahinter liegt das Chaos, natürlich das Chaos, das jedes Bühnenbild von hinten scheinbar aufweist – Bretter, Stangen, Wandstützen -, aber auch Holzsärge und wallendem Nebel. Das ist die wahre Welt dieses Stücks, in dem zwei alte Damen ältere einsame Herren vergiften, um ihnen ein trübes Weiterleben zu ersparen, und in der deren Neffe zum Massenmörder mutierte. Wie seine Tanten hat auch er zwölf Menschen auf seinem Gewissen. Wahnsinn und bürgerliche Oberfläche wohnen dicht an dicht.
Beim dritten Mal aber will sich das Bühnenbild nicht mehr zur Einheit fügen, es stehen nur noch Versatzstücke im Raum – das ist der Zeitpunkt, an dem spätestens das Weltbild des zweiten Neffen, Mortimer, endgültig zerstört ist, muss er doch, wenn er die Tanten vor dem Zugriff des Gesetzes bewahren will, deren Tun kaschieren.
Ansonsten inszeniert Bosse das, was dieses Stück auch ist – eine Boulevardkomödie, deren Witz heute zusätzlich darin besteht, den Theaterbesucher ständig an den Filmklassiker zu diesem Stück zu erinnern. Bosse versucht, dem gegenzusteuern – durch Slapstick und durch verbale Gags (Wo war ich stehengeblieben? – Ach ja da drüben). Es ist ein Abend der komödiantischen Begabungen, und an denen ist das Schauspiel Stuttgart reich. Michael Stiller, in Stuttgart meist in Nebenrollen eingesetzt, glänzt hier gleich in drei unterschiedlichen.
Christian Schneeweiß (Jonathan Brewster), Manolo Bertling (Mortimer Brewster), Astrid Meyerfeldt (Dr. Einstein), Ferdinand Lehmann (O’Hara). Foto: Bettina Stöß
Sebastian Röhrle gelingt eine Gratwanderung beim zurückgebliebenen dritten Bruder, der sich für Präsident Roosevelt hält und doch irgendwie ahnt, dass er es möglicherweise doch nicht ist. Christian Schneeweiß verkörpert den Massenmörder in einer Mischung aus dumpfer Debilität und gefährlichem Aggressionswahn. Astrid Meyerfeldt verleiht dem gleichfalls nicht ganz normalen Chirurgen Dr. Einstein skurrilen Witz.
Mehr freilich sollte man nicht in die Inszenierung hineindeuten. Hinzu kommt, dass Regisseur Jan Bosse die ohnehin überkandidelte Komödie nach alter Slapstickmanier noch komischer machen wollte, als sie eigentlich ist. Zwar ist der Grundeinfall richtig: Der Wahnsinn ist in diesem Stück zum Normalfall geworden, die „Normalen“ sind die Ausnahme, sind die eigentlich Ver-rückten.
Manolo Bertling (Mortimer Brewster), Lea Ruckpaul (Elaine Harper). Foto: Bettina Stöß
Doch Bosse lässt Manolo Bertling als Mortimer und Lea Ruckpaul als seine Braut agieren, als wären sie demnächst reif für eine Anstalt. Hier gibt es keine allmähliche Entwicklung vom Alltäglich-Normalen zum Verzweifelt-Konischen, da klemmen unvermittelt Türen, die eigentlich aufgehen sollten, da verwickelt man seine Gliedmaßen mit Treppengeländern, da greift man nicht zum Telefonhörer, sondern gleich zum ganzen Telefon. Schon Cary Grant hielt seine Rolle als Mortimer für seine schlechteste, für zu überspitzt hielt er seinen Auftritt, doch Manolo Bertling muss bei Bosse einen Grant hoch zwei spielen.
Bosse will unterhalten, offensichtlich nicht mehr, – und da kann sich die Frage stellen, ob Boulevard am Staatstheater seinen Platz hat, es ist nach dem „Raub der Sabinerinnen“ in dieser Spielzeit das zweite Beispiel in Stuttgart. Oder kommt irgendwann auch noch die Pension Schöller?