Zum Raum wird hier die Farbe: rosalies „Lichtwirbel“ im Sindelfinger Schauwerk

Im Düsseldorfer Medienhafen klettern bunte Plastikfiguren die Fassaden empor. In Nürnberg überraschen ein flitzender und ein sitzender Hase auf dem Dach eines Hochhausübergangs, und vor der FILharmonie in Filderstadt bei Stuttgart locken grellbunte Lippenpaare die Blicke auf sich – Skulpturen der Stuttgarter Künstlerin rosalie. Längst aber hat sie den Weg von den bunten Kunststoffobjekten zu einem ungleich faszinierenderen Material gefunden, wie sie es spätestens in ihrem Bühnenbild zum Ring des Nibelungen in Bayreuth 1994 demonstriert hat: rosalie arbeitet mit Licht – und hat als neueste Kreation im Sindelfinger Schauwerk damit eine wahre Zauberwelt geschaffen.

Es ist wie im Märchen. Man tritt durch eine Tür – und befindet sich in einer anderen Welt. Bis in schier unendliche Höhen ranken sich dünne Farbschlangen, als wären es die Fangarme eines äußerst grazilen, gleichwohl riesigen Kraken in einer geheimnisvollen Welt tief unter dem Meeresspiegel. Es könnte aber auch ein gigantisches Korallenriff sein, das sich filigran in endlose Weiten auszudehnen scheint. Die Fantasie steht nicht still, wenn man sich diesem Gebilde nähert. Man denkt an farbenfrohe Fäden, die von märchenhaften Feen gesponnen werden und in denen sich der Besucher dieser Märchenwelt in der nächsten Sekunde unausweichlich verfangen wird. Die Farben verändern sich unablässig und kaum merklich. Was eben noch ein wässriges Weiß war, mutiert zu einem feinen Orange, zu einem Grünlichblau, zu Grellpink. Entsprechend wechseln die Stimmungen: Von Eiseskälte zu tropischer Schwüle. Dazu evoziert eine Klanginstallation von Matthias Ockert Vorstellungen von Tiefseedröhnen bis hin zu ätherischer Sphärenmusik.

Was sich da wie mit Fangarmen schlingernd zu bewegen scheint, ist allerdings in Wirklichkeit starr, besteht aus rund sieben Kilometer langen lichtleitenden Kunststofffasern, und der Eindruck von Bewegung ergibt sich aus dem ständig sich ändernden Farbenspiel. rosalie hat die Quadratur des Kreises geschaffen: Mithilfe langer Kunststoffröhrchen erweckt sie den Eindruck von Bewegung, eine in sich ruhende hängende Skulptur wirkt wie ein kinetisches 0bjekt. Der Titel der Arbeit unterstützt diesen Eindruck von unendlicher Bewegung noch: „Lichtwirbel“. Angedeutet hatten sich solche Lichtinstallationen schon vor einigen Jahren, als rosalie im ZKM in Karlsruhe kleinere, ähnlich strukturierte Gebilde wie hängende Gärten in einer Halle an die Decke platzierte. Jetzt hat sie eine völlig neue Dimension erreicht.

Der Besucher dieser Zauberwelt kann auf langsam ansteigenden Gängen rund um das Gebilde wandern, bis er schließlich aus fünfzehn Metern Höhe auf das wuselnde Lichtgeschehen hinunterblicken kann – in diesem Fall betrachtet er eine Skulptur, die aus nichts als Licht und Leuchten besteht; er kann sich aber auch unten in das bunte Liniengewirr begeben – dann wird er Teil eines Zauberraums, in dem nichts fest zu sein scheint, in dem alles oszilliert. Der Blick verliert jeden Halt, der eigene Körper scheint eins werden zu wollen mit diesem Farbenspiel.

So hat William Burroughs vor über einem halben Jahrhundert seine psychedelischen Farbträume nach dem Genuss von Rauschmitteln beschrieben, so haben in seinem Gefolge Künstler der Beatgeneration Bilder gemalt, auf denen sich alles aufzulösen schien.

Doch bei rosalies Lichtwirbel ist man nicht mit einem Bild konfrontiert, diese Arbeit hat ungleich mehr Dimensionen. Der Farbenrausch, das Eintauchen in ein unfassbares, weil nicht greifbares Farbengeschehen, die Verzauberung ist das eine – die kunsthistorische Reflexion dessen, was die Künstlerin da geschaffen hat, ein anderes, und diese Reflexion ist mindestens ebenso wichtig wie das rein ästhetische Erleben. Licht hat Künstler schon immer fasziniert, nicht zuletzt, weil es nicht greifbar, kaum darstellbar ist. Als Adolph Menzel vor 150 Jahren sein Gemälde vom „Hofball in Schloss Rheinsberg“ gestaltete, da lenkte er die Blicke der Betrachter nicht auf die im Tanz auf dem Parkett wirbelnden Paare, sondern auf die Kronleuchter, deren gleißendes Licht er mit Hilfe gezielt gesetzter weißer Punkte gestaltete. Das war brillant gemalt, aber es war eben nicht mehr als mit Farbe angedeutetes und im Auge des Betrachters evoziertes Licht. Mit der fortgeschrittenen Lichttechnik der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts konnte Licht selbst zum Material werden. Pioniere wie Dan Flavin schafften es bereits, den Körper des Ausstellungsbesuchers Teil dieser Lichteffekte werden zu lassen. rosalie hat mit ihren neuesten Lichtarbeiten eine neue Dimension der Kunst mit Licht entwickelt. Sie stellt Licht nicht dar wie die Maler vor ihr, sie arbeitet nicht mit Licht wie Flavin, sie bedient sich des Lichts als neuem genuinem Ausdrucksmittel. Peter Weibel, der Direktor des ZKM in Karlsruhe, mit dem rosalie seit Jahren eng zusammenarbeitet, hat sie einmal als „Jackson Pollock des Lichts“ bezeichnet. Ließ der Meister des abstrakten Realismus in den USA Farbe aus einer Dose auf die auf dem Boden liegende Leinwand tröpfeln, um so durch kreisende Bewegungen ein unentwirrbares Labyrinth aus Farblinien zu kreieren, so zeichnet rosalie mit ihren Lichtschlangen farbige Impressionen, nur nicht mehr zweidimensional auf Leinwand, sondern dreidimensional in den Raum – und transformiert den Raum damit zugleich. Zum Raum wird hier die Zeit, erklärt in Wagners „Parsifal“ der alte Gurnemanz dem jungen Titelhelden – mit der Lichtkunst, wie sie rosalie inzwischen entwickelt hat, wird die Farbe zum Raum.

rosalie. Lichtwirbel“. Schauwerk 71065 Sindelfingen, Eschenbrünnlestraße 15/1 bis 12.4.2017

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