Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstießen, meinte einmal im 18. Jahrhundert der Physiker und Meister des Aphorismus Georg Christoph Lichtenberg, und es klinge hohl, dann liege es nicht unbedingt am Buch. Eine Ausstellung in der Städtischen Galerie in Bietigheim zeigt, was herauskommt, wenn Bücher und Künstlerköpfe zusammenstoßen – hohl ist es nicht, aber zum Lesen auch nicht unbedingt: Bibliomania.
Natürlich frönt man seiner Begeisterung für das Buch – seiner Bibliomania – am besten, indem man sich lesend darin vertieft. Jean-Philippe Toussaint hat seine Familie bei diesem Lesen fotografisch festgehalten – Aimer Lire, lesen lieben.
Was aber, wenn da, wo der faszinierende Text üblicherweise steht – also die Zeilen, buchdrucktechnisch ausgedrückt, der Satzspiegel – fehlt? Stefan Steiner hat auf die Seiten einfach nur das Wort Satzspiegel gedruckt – auch das ist ein Buch, aber zum Lesen? Erst recht nicht zum Schmökern ist ein Buch von Gerhild Ebel. Sie hat die Zeilen des Textes ausgeschnitten. CUT nennt sie das Buch bezeichnenderweise, SCHNITT. Geht man mit dem scharfen Messer noch einen Schritt weiter wie Salvador Menjibar, dann wird aus dem Buch ein Kunstobjekt, weit entfernt davon, jemals gelesen zu werden. Das gilt auch für die Objekte von Dietrich Helms. Er hat die Seiten eines Telefonbuchs gefaltet und kunstvoll zusammengesteckt. Als Nachschlagewerk eignet es sich nicht mehr, aber man kann fasziniert die Bastelarbeit bestaunen.
Etwas martialischer geht Jonathan Callan zu Werke. Er nimmt sich ganze, zum Teil dicke Bücher, wälzt und verbiegt sie und hält das Ergebnis mit dicken Schrauben fest. Bei Georgia Russells ungleich filigranerem Vorgehen mutieren zwei Bücher zu einer Art Paradiesvogel, in diesem Fall die Vereinigung von Schwarz und Pfirsichfarben. Mit Büchern zum Lesen hat das nichts mehr zu tun, aber es waren doch einmal Bücher. So auch bei der Installation von Hubertus Gojowczyk. Er hat eine runde Fensteröffnung im Museum mit Büchern zugemauert. Mauerwerk nennt er seine Arbeit; die Lesebändchen sind noch zu erkennen.
Lesezeichen findet man auch bei Cornelius Völker. Sie ragen aus Büchern heraus, wenn man sie übereinanderstapelt. Dabei sieht man nur Buchkanten, nicht zum Lesen, aber als Bücher erkennbar. Das gilt für so manche Arbeit. Bei Anne Berning möchte man am liebsten gleich zugreifen. Sie hat Rücken von Kunstbüchern gemalt, Büchern, die es freilich so im Handel nicht zu kaufen gibt – im Unterschied zu den Polyglott-Arbeiten von Peter Zimmermann. Er hat die bekannten Reiseführercovers riesengroß in Kunstharz nachgebildet – realistisch, und trotzdem nicht zum Lesen. Lesen kann auch nicht in den Büchern von Hubertus Gojowczyk. Er scheint kein Bücherfreund zu sein, denn er hat das Buchinnere wütend aufgekratzt.
Wie kostbare Vögel dagegen hat Peter Wüthrich seine Bücher behandelt. Sie ruhen gemütlich auf Stangen – seine „Freunde“, wie er sie nennt, oder auch die Ornithologie der Bücher.
Überhaupt sollte man Bücher am besten wohlgeordnet aufbewahren, damit man stets findet, was man lesen will. Noch im Rohzustand ist ein solcher Aufbewahrungsort bei Boris Becker. Seine Bibliothek muss erst noch aufgebaut werden. Die Bibliothek, die Rolf Escher meisterhaft mit dem Zeichenstift festgehalten hat, gibt es dagegen, wenn auch nur für Eingeweihte: die Klosterbibliothek von Kremsmünster. Wie eine Schatzkammer wirkt hier die Heimat der Bücher, und fast wie eine Zeichnung wirkt auch das Porträt der Biblioteca dei Girolamini Napoli. Es ist aber ein Foto. Candida Höfer hat das Refugium der Bücher aufgenommen wie eine geheimnisvolle Schatzkammer. Ralph Fleck dagegen hat nur scheinbar ein Bücherregal porträtiert; aus der Nähe besehen erkennt man, dass alles reine Malerei ist. Und doch meint man, die Bibliothek Suhrkamp vor Augen zu haben – ähnlich wie bei den von Magnus von Stetten auf dem Boden drapierten Bänden die gute alte Inselbücherei, auch wenn die Titel fehlen. Man muss allerdings schon alt genug sein, um die Bucheinbände noch zu kennen.
Doch nicht jede Bibliothek hat sich bewahrt wie etwa die von Kremsmünster. Hannes Möller hat alte Bibliotheken aufgespürt, deren Buchschätze längst in alle Winde zerstreut verkauft wurden. Er ist ihnen nachgereist und hat die alten Buchrücken im Aquarell festgehalten. In Bietigheim kann man sie gewissermaßen virtuell vereint wiedersehen. Es ist die ehemalige Bibliothek des Klosters Eberbach. So wird wieder zusammengeführt, was einmal zusammengehörte – und dem Genuss von begeisterten Lesern zur Verfügung stand.
Ideal dafür, dass man sich ihren Inhalt einverleibt, scheinen Diether Roths Arbeiten; er hat aus Büchern regelrechte Würste geformt – Bücher zum Verschlingen, und da wären wir wieder bei den Fotos von Jean-Philippe Toussaint, dessen Familie gebannt in Bücher schaut.
„Bibliomania. Das Buch in der Kunst“, Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen bis 22.10.2023. Katalog 208 Seiten, 35,- Euro