Prinz Georg soll Prinzessin Elisabeth ehelichen, so haben es sein Vater, der König, und Elisabeths Tante, die Herzogin von Brankenhorst, entschieden Doch die beiden jungen Herrschaften wollen sich eine Ehe nicht vorschreiben lassen, schließlich befinden wir uns im Jahr 1930. Sie kommen inkognito im Alpenhotel an – und verlieben sich ineinander. Das ist vergleichsweise banal, und wenn die ganzen Situationen umständlich in Dialogen entwickelt werden, zieht es sich recht dröge dahin – ein Manko so mancher Operette. Es entbehrt aber auch nicht einer gewissen Ironie, denn schließlich finden die zueinander, die es nach dem Willen der Alten tun sollen und es selbst nicht wollten. Und so setzt Regisseur Tobias Ribitzki bei seiner Inszenierung für die Bayerische Staatsoper denn auch auf eben sie – die Ironie.
Ensemble Bayerische Staatsoper © Wilfried Hösl
Es könnte eine große Szene sein: Das Foyer eines Grandhotels, die feine Gesellschaft, der hohe Adel. Das freilich wäre unter Coronabedingungen schwer möglich gewesen, und so setzt Ribitzki auf das Mittel der Andeutung. Statt feudaler Fauteuils lediglich links ein Sessel mit Teetisch, rechts ein Cocktailtisch mit zwei Stühlen, und aus dem Bühnenhimmel senken sich einige Kronleuchter herab. Das reicht aber auch schon, um die Atmosphäre herzustellen. Ribitzki weiß genau, was nötig ist und was überflüssig. Theater soll Realität ja nicht nachahmen, sondern mit dem Zuschauer in der Fantasie erlebbar machen. Und auf sie setzt die Inszenierung. So verzichtet Ribitzki auch auf die umständlichen Dialoge, die die Handlungsvoraussetzungen vermitteln müssten, er führt hierzu eine Figur ein, die Lehár gar nicht vorgesehen hat, einen Erzähler bzw. Conférencier. Wie der Schauspieler Max Hopp, der auch noch passabel singen kann und seine Texte selbst verfasst hat, diesen Part ausführt, ist ein Vergnügen. Da wird kaum eine Möglichkeit der Illusionsdurchbrechung ausgelassen. Neben der Funktion als Conférencier spiele er auch noch den Hoteldirektor und den König – wegen der knappen Kassen der Staatsoper.
Juliana Zara, Max Hopp © Wilfried Hösl
Regisseur Ribitzki setzt auf wenige Requisiten: Mit Monokel mutiert Hopp zum König, ohne Augengläser zum Direktor und mit schwarz umrandeter Brille eben zum Conférencier. Dieser rekurriert auf Erkenntnisse, die „wir“ soeben dem Dialog haben entnehmen können. Wenn der Prinz auftritt, wird der ironisch mit „natürlich Tenor“ eingeführt, und der Eindruck, den er auf die Prinzessin hinterlassen habe, sei tiefer als die Spur ihrer Autoreifen im Waldweg. Ironisch gebrochen wird auch die Handlungsebene. Ob die Prinzessin beim trauten Tête-à-tête in der Berghütte die – natürlich gesungene – Liebeserklärung von Georg gehört habe, sei nicht überliefert, so erklärt der Conférencier, der stets präsent ist, die von ihr derweil produzierte Brotzeit freilich könne man als Antwort durchaus gelten lassen. Max Hopps Texte sind von einer feinen Ironie, wie man sie von so mancher Erzählstimme bei Thomas Mann kennt.
Und was Hopp verbal macht – mit feinem Witz und stets leichter Ironie, ohne die Figuren und die Handlung lächerlich zu machen, führt Ribitzki szenisch weiter. Coronabedingt nimmt das Orchester auf der Hauptbühne Platz, die Handlung ist auf den schmalen Streifen der Vorderbühne verbannt, hat dadurch aber eine ungewöhnliche Präsenz, zumal der Zuschauer durch die Kameraführung der Premiere, die derzeit nur als Livestream präsentiert werden kann, den Figuren dicht auf den Leib rückt, sie mit der Kamera nicht selten umrundet und so nicht nur die Bühne als Hintergrund hat, sondern auch den grandios dunkelblau ausgeleuchteten Zuschauerraum der Staatsoper sieht – ein wahrhaft königliches Ambiente für dieses Personal.
Für den zweiten Akt verschwinden die Kronleuchter nach oben und ein Alpenpanorama wird per Projektion auf den Bühnenhintergrund gezaubert – wobei Conférencier Hopp auch hier noch die verbale Beschreibung liefert bis hin zum Gebirgsbach, dessen – natürlich klares – Wasser sich in einem ausgehöhlten Baumstamm sammle, dem Stamm, den man zu sehen meint, obwohl er nicht als Requisite existiert.
Sebastian Kohlhepp, Max Hopp, Julia Kleiter © Wilfried Hösl
Ein paar Papierschnipsel dienen als Schneesturm. Für die letzten Schritte zur Berghütte reicht Georg seiner Geliebten galant die Hand und hilft ihr hinauf – von der Ebene des Zuschauerraums auf die Ebene der Bühne – und man meint, sie überwinde dabei einen letzten Felsbrocken. Ribitzki setzt auf das Mitwirken der Fantasie der Zuschauer, und das zu Recht.
„Halbszenisch“ nennt die Staatsoper ihre Produktion, aber halbherzig ist sie deswegen keineswegs, im Gegenteil. Und bei aller Ironie wird die Operette trotzdem nicht lächerlich gemacht. Jeder szenische Einfall dient zugleich der Übermittlung echter Gefühle. Wie Ribitzki das inszeniert, ist meisterhaft. Und schließlich ist für das Gefühl ja auch noch die Musik zuständig, die in dieser auf neunzig Minuten reduzierten Version einen sehr viel größeren Stellenwert als in einer voll ausgespielten Version bekommt. Auch das kleine Orchester entfaltet unter Friedrich Haiders Leitung klangliche Opulenz, die gerade die Lieder benötigen, die Lehár für „seinen“ Tenor Richard Tauber komponiert hat, aber es fehlt auch nicht der nötige Pep für die lateinamerikanische Komponente, schließlich spielt auch noch ein südamerikanischer Gesangsstar eine Rolle im Geschehen. Julia Kleiter hat trotz einer vielleicht etwas schweren Stimme für die Rolle der Prinzessin die nötige Lockerheit und Eleganz und den rhythmischen Schwung, Sebastian Kohlhepp intoniert die großen Klassiker wie das Titellied „Schön ist die Welt“ oder „Liebling glaub an mich“ mit tenoralem Glanz und schlanker agiler Stimmführung, und Juliana Zara und Manuel Günther sind ein perfektes Buffopaar.
Natürlich kann man sich fragen, ob die Bühne einer Staatsoper der Ort für eine doch etwas seichte Operette sein sollte. Doch dank Ribitzkis Inszenierung ist das eben nicht einfach nur eine Operettenaufführung, es ist ein Modellfall, wie der guten alten, aber oft schon tot gesagten Operette doch noch Leben eingehaucht werden kann, und zwar Leben unserer Zeit. Schließlich ist die Operette eine Kunstform, die leider auf unseren Bühnen kaum mehr anzutreffen ist und fast nur noch als Tourneetheater durch Stadthallen reist. Das hat sie nicht verdient, und das dürfte jeder sehen, der diese Inszenierung erlebt hat. Sie ist ein Wunder an Fantasie, Esprit und Kurzweil, denn hier gibt es nicht einen Gag, der nur um des Gags willen eingesetzt worden wäre, hier greift alles ineinander, ist alles aus einem Guss, ist große Theaterkunst.
Der Stream ist bis 20.2.2021 für ein Tagesticket von 9,90 Euro abrufbar:
https://operlive.de/montag10-schoen-ist-die-welt/