Wiederentdeckung nach 250 Jahren: Niccolò Iommellis „Vologeso“ in Stuttgart

Er zählte zu seinen Lebzeiten zu den begehrtesten Komponisten: der Italiener Niccolò Iommelli. Mit 35 Jahren war er bereits Vizekapellmeister am Vatikan, Papst Benedikt XIV., persönlich setzte sich für ihn ein, doch Iommelli folgte dem Werben des württembergischen Herzogs Carl Eugen, als dessen hoch dotierter „Oberkapellmeister“ er u.a. 21 Opern komponierte, die in Stuttgart, Ludwigsburg und Tübingen uraufgeführt wurden, darunter auch „Il Vologeso“. Zu Iommellis 300. Geburtstag brachte die Oper Stuttgart 2015 dieses Werk unter dem Titel „Berenike, Königin von Armenien“ auf die Bühne, in der Regie von Hausherr Jossi Wieler zusammen mit seinem Dramaturgen Sergio Morabito.

berenike2

Ana Durlovski, Catriona Smith, Sebastian Kohlhepp, Igor Durlovski, Helene Schneiderman, Mitglieder des Staatsorchesters Stuttgart. Foto: A.T.Schaefer

250 Statisten bevölkerten die Bühne, als vor rund 250 Jahren Iommellis „Il Vologeso“ uraufgeführt wurde, man brauchte sie für eine Amphitheaterszene, in der der zum Tode verurteilte König Vologeso gegen die wilden Tieren in die Arena geschickt wird. Bei Jossi Wieler und Sergio Morabito ist die Bühne dagegen nur mit den wenigen Hauptfiguren besiedelt, dafür tönt aus dem Lautsprecher wütendes Löwengebrüll – es darf gelacht werden an diesem Opernabend, dabei geht es um tiefste Emotionen, etwa die Trauer von Berenike um ihren tot geglaubten Verlobten Vologeso. berenike1

Sophie Marilley, Ana Durlovskym Sebastian Kohlhepp. Foto: A.T.Schaefer

Ana Durlovsky ist die ideale Sängerin für diese Rolle, die stimmlich anspruchsvoll ist und darstellerisch tiefste Emotionen verlangt.

Die Stuttgarter Inszenierung siedelt das Stück nicht in der Antike an, Bühnenbildnerin Anna Viebrock hat Häuser einer Großstadt nach einem Krieg auf die Bühne gebracht – schließlich spielt ja auch die Oper nach einem Krieg zwischen den Römern und den Parthern. Die Häuser weisen Einschusslöcher auf. In einem Hinterhof finden Jugendliche Relikte einer antiken römischen Villa. berenike3

Sophie Marilley, Helene Schneiderman, Catriona Smith. Foto: A.T.Schaefer

Sie sind deutlich traumatisiert von dem soeben durchlebten Krieg, schlüpfen in ein paar Kostümteile – und spielen eben jene Tragödie um Berenike, die ihren Geliebten tot wähnt, sich dem römischen Herrscher Lucio hingeben will, um dann eben doch ihren Geliebten wieder zu finden, und Lucio ist seinerseits ja auch verlobt – mit Lucilla, die eilends aus Rom in das gerade eben eroberte Feindesland gereist ist. Helene Schneiderman verkörpert faszinierend eine junge, kapriziöse Dame aus bestem Hause auf der Suche nach ihrem Verlobten. Und wie das Bühnenbild eine Mischung aus Trompe l’oeil einer antiken Szene und zugleich Szenerie aus Stoff und Pappmaché ist, so gelingt auch dieser Sängerdarstellerin eine Gratwanderung: Zum einen spielt sie die nervöse Spannung der jungen Dame, die ihren Verlobten erwartet, zugleich ist es eine nervöse Gespanntheit einer Sängerin, die auf das Ende des langen Orchestervorspiels zu ihrer Arie wartet – meisterhaft!

Iommellis Oper ist ein Stück um Liebe und Verrat wie so viele Barockopern – aber das Libretto ist ungewöhnlich vielschichtig. So ist sich Berenike eben nicht ganz sicher, ob sie diesen neuen Kaiser, Lucio, richtig liebt, Lucio weiß nicht, wie ihm geschieht zwischen zwei Frauen, und als er sich bei Berenike am Ziel glaubt, da mischt sich in seinen Triumph doch auch Melancholie. Iommellis Figuren haben Tiefe – und zugleich auch Witz. In der Stuttgarter Inszenierung wird das deutlich durch die Kulissen, die eindeutig eben genau das sind: Theaterkulissen. Die Figuren schwanken zwischen Tatkraft und Lethargie, vor allem Lucio, von Sebastian Kohlhepp mit lyrischem Tenor verkörpert, der durchaus auch heldische Spitzentöne hat und Koloraturen perfekt beherrscht.

Am Ende steht bei Iommelli ein Siegeschor, bei Jossi Wieler und Sergio Morabito dagegen spielt nur das Orchester, die Figuren entledigen sich ihrer Kostüme und suchen ihre Alltagskleidung wieder, sichtlich ergriffen von dem soeben gespielten Drama – wie es auch das Publikum ist nach einem bewegenden, zugleich unterhaltsamen Abend, an dem es ein Meisterwerk zu entdecken gab.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert