Dass ein Opernregisseur während der Ouvertüre einen Film abspulen lässt und darin nicht selten seine eigene Vorgeschichte der Handlung präsentiert, ist inzwischen fast schon gang und gäbe, und auch dass während der Oper Filme über eine Leinwand flimmern. Damit freilich begnügte sich Regisseur Marcus H. Rosenmüller nicht. In seiner Inszenierung von Rossinis Il Signor Bruschino an der Bayerischen Staatsoper, deren Premiere im Internet als Stream zu sehen war, prägt die Filmästhetik das ganze Bühnengeschehen.
Josh Lovell (Florville), Emily Pogorelc (Sofia), Orchester der Bayerischen Staatsoper © Wilfried Hösl
Und es ist eine alte Ästhetik. Der Film, in dem er die Handlung nicht in einem Landhaus spielen lässt wie bei Rossini, sondern in einem Opernhaus, ist gedreht wie ein alter Stummfilm der 20er Jahre mit dem Flimmern und den schwarzen Streifen. Hier sehen wir, wie Sofia, in diesem Fall eine Näherin im Opernhaus, und Florville, der Feuerwehrmann, sich ineinander verlieben, auch wenn das nicht im Sinn von Sofias Vormund Gaudenzio ist, in diesem Fall Opernimpresario, der möchte, dass sein Mündel Sofia den Sohn des reichen Signor Bruschino heiratet, denn der hatte ihm dafür Geld versprochen, Geld, das er, wir sind immer noch im Vorfilm während der Ouvertüre, für dringende Brandschutzmaßnahmen benötigt. Rosenmüller hat die alten Stummfilme genau studiert, denn Sofia und Florville könnten gut und gern in einem solchen Film auftreten. Marianna, Sofias Freundin, hat gar einen Schmollmund wie einst Mary Pickford.
Wenn die eigentliche Handlung auf der Bühne beginnt, setzt sich diese Stummfilmästhetik jedoch fort. Die Figuren auf der Bühne wirken, als seien sie von der Leinwand heruntergestiegen. Alles bleibt schwarzweiß – die Kostüme, selbst die Gesichter wirken dank raffinierter Beleuchtung schwarzweiß. Entsprechend leicht überzeichnet sind Gestik und Mimik. Das passt vorzüglich zum Charakter dieser Oper, die ja eine Farce ist, eine Farsa. Da alles aber den Gesetzen des Stummfilms folgt, wirkt diese Überzeichnung nicht wie eine grelle Übertreibung, sondern bleibt stilsicher im Genre. So verschmelzen Film und Opernhandlung grandios in eins.
Und auch die Verlegung des Geschehens in ein Opernhaus führt Rosenmüller bewundernswert logisch durch. Es ist das Teatro San Moisè in Venedig, in dem 1813 diese kleine Oper von Rossini uraufgeführt wurde. Und in diesem Theater bringt ein Wollknäuel die Handlung buchstäblich ins Rollen. Es fällt Sofia zu Boden, rollt und rollt – die Treppe hinunter in die Kellerräume eines großen Opernhauses. Regisseur Marcus H. Rosenmüller bespielt auf diese Weise das ganze Münchner Nationaltheater. Es rollt dem jungen Florville, einem Feuerwehrmann im Theater, vor die Füße, der beim Aufwickeln des Wollfadens unmittelbar vor dem Gesicht der anmutigen Sofia landet, in das er gebannt durch seine Pennälerbrille blickt.
Emily Pogorelc (Sofia) © Wilfried Hösl
Wie Emily Pogorelc und Josh Lovell diese aufkeimende Liebe erst in Großaufnahme im Film, dann auf der Bühne ausagieren, zeugt von immensem komödiantischen Talent. Wenn es dann auch noch mit grandiosen Sängerleistungen gepaart ist, dann steht einem Rossiniglück nichts im Wege: er mit feinem lyrischem Tenor, sie mit herrlich leichtem Sopran, der auch zu hochdramatischen Ausbrüchen fähig ist und vor allem die halsbrecherischen Koloraturen meistert, die freilich auch Lovell locker von der Kehle gehen. Gemeinsam gelingt ihnen eine Gratwanderung zwischen leichter farcehafter Überzeichnung und Darstellung echter Empfindung. Und auch der Gaudenzio von Misha Kiria ist Witzfigur und zugleich ernst zu nehmender Vormund, desgleichen der mit urgewaltiger Bassstimme ausgestattete Signor Bruschino von Paolo Bordogna, der mustergültig das schnelle Parlando meistert, durch das Rossini seinen Figuren so gern Witz verleiht.
Emily Pogorelc (Sofia), Misha Kiria (Gaudenzio), Josh Lovell (Florville) © Wilfried Hösl
Das Wollknäuel ist gewissermaßen der rote Faden in dieser Komödie, es geistert durch alle Szenen, vor allem schwebt es immer wieder im Stummfilm durch den Raum, der die ganze Zeit über auf der Leinwand flimmert, wie es eben ein alter Stummfilm tut. Mal geistert das Knäuel über einen Himmel, an dem dichte Wolken aufziehen, wenn Gefahr für die junge Liebe droht, und der mit blitzenden Sternen erstrahlt, wenn die Sterne es mit den beiden eben gut meinen. Und mit einem Wollfaden umgarnt Sofia buchstäblich den alten Bruschino, damit er seinen Grimm gegen seinen Sohn aufgibt. Wenn Bordogna, von den beiden Liebenden genarrt und gefoppt, nicht mehr weiß, wo ihm der Kopf steht, dann erfüllt seine mächtige Bassstimme den Raum mit (gespielt komischen) verzweifelten Tönen.
Coronabedingt sitzt das klein besetzte Orchester auf der Bühne, von Antonino Fogliani vom ersten Ton an spritzig, keck und mit herrlichen Akzenten musiziert. Gespielt wird auf der schmalen Vorderbühne, doch weil das Ganze ja in einem Opernhaus angesiedelt ist, kann mit wenigen Requisiten in Windeseile die Szene gewechselt werden. So entsteht eine rasante Szenenfolge wie im Film, und man fragt sich, ob in diesem Fall nicht ausnahmsweise tatsächlich die Präsentation als Stream im Internet die ideale Form ist, denn jeder Applaus durch ein Live-Publikum, der bei den sängerischen Leistungen unausweichlich wäre, würde den Ablauf nur stören. So ist ein Opernfilm mit realen Akteuren auf der Bühne entstanden, schwarzweiß und doch in den herrlichsten Farben, die Rossinis Musik in dieser Darbietung beisteuert. Ein Triumph der logischen Regie und eines nicht enden wollenden geistreichen Witzes. Ein Muss für jeden Rossinifan.
Die Inszenierung ist als Stream gegen Gebühr (9.90 Euro) bis 24.4.2021 abrufbar