Er zerstörte Jerusalem und führte die Juden in die Babylonische Gefangenschaft: Nebukadnezar II., jedem Bibelkenner ist er vertraut. Aber auch Weinkennern ist Nebukadnezar ein Begriff – als Flasche. Fünfzehn Liter fasst sie. 120 leere Exemplare erwarb das Forum Kunst Rottweil und schickte sie an alle noch lebenden Künstler, die seit der Gründung des Forums dort ausgestellt haben. Das Projekt steht in einer langen Tradition am Forum Kunst. So wurden schon Koffer an Künstler verschickt mit der Bitte, sie zu füllen, Spiegel, mit der Aufforderung, sie in Kunst zu verwandeln. 93 der Flaschen kamen zurück – zum Teil drastisch verändert.
Bei einem Künstler blieb die Flasche allerdings auch einfach so, wie man sie als Weinfreund kennt: bei James Licini. Dessen Markenzeichen sind T-Träger aus Stahl, wie man sie beim Bauen verwendet. Aus ihnen konstruiert er meist riesige abstrakte Plastiken. In diesem Fall stellte er einfach auf ein Stück T-Träger eine Flasche – fertig war die Skulptur.
Auch andere Bildhauer verwandelten die Flaschen in Plastiken. Jürgen Knubben ließ aus dem Hals ein Geäst aus rostigen Installationsrohren ragen, Armin Göhringer ein schmales längliches schwarzes Holzstück, das aussieht, als sei es eine Feder in einem großen Tintenfass. Und wer üblicherweise mit Pinsel und Farbe umgeht, nahm sich die Flasche als Malgrund. So entstanden farbenprächtige Gemäldeskulpturen, denn die Form der Flasche blieb ja erhalten.
Als solche ist sie natürlich eigentlich dazu da, Wein zu beherbergen. Also füllte Ottmar Hörl selbst gekelterten ein, von seinem Weinberg Alte Grafschaft Kaffelstein, ein Spätburgunder. So ist auf dem – natürlich ungewöhnlich großen – Etikett zu lesen. Erhebt sich die Frage, wer hier was adelt: Der Wein die Flasche oder die Flasche den Wein.
Eine besondere Spezialität hat Cordula Güdemann geliefert: einen Crashman Car Whisperer. Dahinter verbirgt sich ein Trollinger, von Württembergern besonders geschätzt. Statt des genussvoll das Glas an den Mund setzenden Herrn, der für den Slogan „Kenner trinken Württemberger“ erfunden wurde, blickt uns hier aber Ministerpräsident Kretschmann entgegen – der „Crashman“, der sich bei den Grünen für die Autos in Württemberg eingesetzt hat.
Noch spezieller ist die Sorte bei Nikolaus Kernbach. Auf dem Etikett seiner Flasche ist „Calanca“ zu lesen, das ist der von diesem Bildhauer bevorzugte Steinbruch. Der Inhalt seiner Flasche: Marmorstaub, also besonders extra dry.
Bei Daniel Bräg muss erst noch Alkoholisches entstehen. Er befüllte die Nebukadnezar mit Apfelsaft, der seit einigen Wochen schon gärt.
Aber es muss nicht unbedingt etwas zum Trinken in eine Flasche, beliebt sind auch papierene Nachrichten. Die Flaschenpost von Karolin Bräg besteht aus einem zusammengerollten handschriftlich beschriebenen Zettel. Josef Bücheler kommuniziert lieber mit seiner Kunst. Er bugsierte eines seiner charakteristischen, aus vielen Papierlagen bestehenden Objekte in die Flasche und nannte das Ganze, weil er Rottweiler ist, Rottweilerflaschenpost.
Natürlich durfte auch jener Herr nicht fehlen, nach dem die Flasche benannt ist. Lilli Engel applizierte auf die Innenwand der Flasche eine Seite aus der Bibel, auf der eben jener babylonische König erwähnt wird. Und weil Nebukadnezar König war, muss er, so dachte sich Markus Mußinghoff, auch ein Testament gemacht haben.
Es hängt nun in einer nach ihm benannten Flasche, und Nebukadnezar war möglicherweise seiner Zeit weit voraus gewesen sein, denn das „Testament“ befindet sich auf einer Filmrolle!
In all diesen Fällen ist die Nebukadnezar als Flasche stets erkennbar. Nicht ganz so bei Ursula Neugebauer. Ihr muss die Flasche unsanft aus der Hand geglitten sein, jedenfalls brachen der Hals und das obere Stück ab. Doch Not macht erfinderisch und Kunst allemal. Sie entdeckte in der zackigen Linie, die jetzt den oberen Rand der Flasche bildet, eine Art Gebirgslandschaft und färbte sie blau ein. Jetzt hat die Flasche ein Panorama.
Spielte bei ihr der Zufall eine Rolle, so ging Roger Aupperle zielstrebig zu Werk. Er zertrümmerte die Flasche, bis sie nur noch ein Häufchen Glassand war, füllte diesen in einen Plastiksack und fügte ein Fotobuch bei, das den Zerstörungsprozess dokumentiert. Und auch Timm Ulrichs dürfte zum Hammer gegriffen haben. Er zertrümmerte die Flasche in grobe Glassplitter. Aber, so sagte er sich, es ist immer noch eine Flasche, und so füllte er die Scherben in eine zweite, intakte Nebukadnezar – die Arbeit heißt logischer- und witzigerweise wie fast immer bei Ulrichs: Zwei Flaschen.
So ist ein fantasievoller Parcours entstanden rund um die Nebukadnezar, und es darf geschmunzelt werden – oder auch gerätselt: Eine Flasche steht auf dem Kopf. Thomas Rentmeister fragte sich im Gespräch mit Freunden, vermutlich bei einem Gläschen Wein, was um Himmels willen er mit dieser an sich doch perfekten Flasche anstellen solle. Die Antwort: Er stellte sie auf den Kopf. Weil das aber letztlich jeder könnte, fügte er ein von ihm unterzeichnetes Zertifikat hinzu. Jetzt ist die Flasche Kunst.
„Nebukadnezar. Künstler machen Flaschen für Rottweil“, Forum Kunst Rottweil bis 14.1.2018, Katalog mit Abbildungen aller Werke