Die Vorstellungen, die man mit einer Plastik verbindet, sind klar umrissen. Eine Plastik ist ein dreidimensionales Gebilde, also raumgreifend, definiert sich über das Volumen, mithin über die Außenfläche, und ist in der Regel kompakt – aus Stein oder Holz. Im Fall von Metallplastiken kann sie auch innen hohl sein, vor allem aber ist sie schwer. Bei den Plastiken von Axel Anklam allerdings scheint alles anders, seine Arbeiten hinterfragen die traditionellen Aspekte der klassischen Plastik und zwingen den Betrachter, seine festgefügten Ansichten zu überdenken, wenn nicht gar zu relativieren.
Man hat den Eindruck, ein großes schwarzes Tuch senke sich leicht flatternd zur Erde – ein Trauerschleier, melancholisch im Ausdruck. Man könnte auch an einen großen schwarzen Vogel denken, der sich mit weit ausgestreckten Flügeln kreisend über dem Erdboden bewegt: bedeutungsschwanger, düstere Ahnungen heraufbeschwörend, aber doch zugleich von aller Erdenschwere befreit. Und doch ist es eine zwar schlanke Skulptur, aber von einer „Flügelbreite“ von knapp zwei Metern, ein Gebilde, das zwangsläufig von Gewicht ist und sich auf keinen Fall in die Luft erheben kann. Anklams Arbeiten sind Widersprüche in sich. Sie haben die Anmutung von Schwerelosigkeit und sind zugleich doch körperhaft, kompakt. Das liegt sicher auch an Anklams Material: Er verwendet für solche Plastiken Epoxidharz, das er auf zwischen Drähten gespannte Tücher aufträgt. Das Trägermaterial wird dann entfernt, es bleibt eine „Haut“ aus Kunstharz.
Doch dieser Eindruck von Leichtigkeit stellt sich auch bei seinen Arbeiten aus Stahlblechen ein. Sie wölben sich wellenartig von der Wand in den Raum, sind gelegentlich eingeschnitten, als habe Lucio Fontana mit dem Messer nicht in eine Gemäldeleinwand geschnitten, sondern durch Metall. Dadurch offenbaren sie ein Innenleben aus Luft. Und auch seinen Arbeiten aus Stahlgeflechten eignet diese seltsame kontrastreiche Mischung aus schwerem Material und luftiger Wirkung.
Das ist nicht der einzige Widerspruch. Seine Arbeiten sind abstrakt und rufen doch immer wieder gegenständliche Assoziationen hervor. Bei der schwarzen Epoxidharzarbeit mit dem Titel „Melancholia“ ist es die Ähnlichkeit mit einem Vogel oder einem schwebenden schweren Tuch, bei den Arbeiten aus Stahlblech denkt man an Schnee- oder Gletscherlandschaften, nicht zuletzt auch, weil solche Arbeiten gelegentlich Schneeland heißen. Somit bewegen sich seine Plastiken zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion.
Auffallend ist, dass seine Arbeiten ungewöhnlich harmonisch wirken. Anklam hat sich von der Harmoniephilosophie des Pythagoras inspirieren lassen, der zufolge das ganze Universum einem mathematisch fundierten musikalischen Harmoniegesetz gehorche. So berechnet er genau die Größenverhältnisse der einzelnen Teile seiner Arbeiten. Gelegentlich kann man tatsächlich mit dem bloßen Auge erkennen, dass eine solche Arbeit etwa nach dem Teilungsgesetz 2:1 strukturiert ist. Das Resultat ist eben jener Eindruck einer geheimnisvollen Harmonie, wie sie auch die klassische Lehre vom Goldenen Schnitt nahelegt.
Vor allem aber stellt Anklam mit seinen Werken das alte Konzept von der Oberfläche einer Plastik in Frage. Stets hat man bei seinen Plastiken den Eindruck, sie bestünden nur aus Außenhaut, die einen inneren Kern verbergen, dem Auge entziehen, und dieser Kern sei das Eigentliche an der Arbeit. Bei den „Schneelandschaften“ wird dieser Eindruck hervorgerufen durch die wellige Oberfläche und die Einschnitte, die einen Blick in das Innere erlauben. Seine Epoxidharzarbeiten sind nicht selten transparent, lassen also einen Blick in das Innere zu, sofern er nicht mit einer schwarzen Karbonbeschichtung diese Transparenz wieder zurücknimmt. Damit lenkt er den Fokus auf einen Aspekt, der bei der klassischen Plastik keine Rolle spielt, dass nämlich ein Gebilde, das durch eine äußere Fläche seine Form erhält, auch ein Innenleben haben muss. Anklam zeigt, dass jede Skulptur aus zwei Bereichen besteht.
Das machen am deutlichsten seine Drahtgeflechtsarbeiten augenfällig. Sie deuten Volumen nur an, und zwar nicht nur, weil die äußere Form mit durchsichtigem Gewebe aus Draht gebildet wird, sondern auch, weil sich die Skulpturen nicht zu einer geschlossenen Form vollenden, sondern die Volumina nur andeuten. Das Auge ergänzt die Leerstellen, wird damit selbst kreativ, vollendet, was der Künstler bewusst offengelassen hat.
So hinterfragt Anklam mit der Wahl seiner Materialien und der Formung seiner Gebilde all jene Aspekte, die man gemeinhin mit einer körperhaften Form verbindet. Die Plastik wird zum Rätsel, hat etwas Geheimnisvolles an sich.
„Axel Anklam“, Museum Art.Plus, Donaueschingen bis 17.6.2018