1854 erzwangen die Amerikaner die Öffnung Japans, das sich dem Ausland jahrhundertelang verweigert hatte. So gelangten westliche Waren nach Japan, für die europäische Kunst viel wichtiger aber war, dass japanische Holzschnitte in den Westen gelangten und eine Begeisterungswelle auslösten. Manet, van Gogh, Gauguin, um nur einige zu nennen, ließen sich inspirieren. Die Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen zeigt jetzt, dass die japanische Welt auch noch heute begeistert: Japonismus 2.0.
Ein heiliges Tor zu einem Shinto-Schrein in Japan – ein beliebtes Motiv in der japanischen Kunst. Es findet sich gleich zweimal in der Ausstellung: auf einem japanischen Holzschnitt von 1935 und auf einem Bild von Sven Drühl von 2015. Drühl besitzt eine ganze Sammlung japanischer Holzschnitte und bezieht aus ihnen seine Motive. Dabei geht er freilich selten so direkt mit der Vorlage um wie bei dem Shinto-Tor. So hat er verschiedene Landschaftsansichten aus japanischen Holzschnitten in einer riesigen Arbeit ganz schwarz in schwarz verarbeitet, deren Motive man nur gegen das Licht erkennen kann. Das sind Auseinandersetzungen mit Fragen nach Original und Nachahmung, Zitat und Re-Kreation. Mit dem schwarzen Bild spielt er auch auf die berühmte Lackmalerei der Japaner an, denn die aus einem Gemisch aus Ölfarbe und Silikon bestehende Malschicht erinnert an die glänzenden Lackarbeiten der Japaner, und das Material Lack findet sich denn auch bei seinem Shinto-Tor, das er eben nicht einfach nur abgemalt hat. Er hat das Motiv, das wir aus kleinen Holzschnitten kennen, ins Riesengroße transformiert und so einen Hauch von Pop Art eingebracht.
Landschaften im feinen japanischen Zeichenstil, der mehr mit Anspielungen, weniger mit regelrechten Motivporträts arbeitet, finden sich auch bei Raffi Kaiser. Und auch er ergänzt die japanischen Motive durch eine typische japanische Technik: die Wandschirmmalerei. Auf einem Paravent hat er in sechs Bildern nebeneinander eine Landschaft gezeichnet. Auf anderen Landschaftsbildern greift er das für die japanische Kunst charakteristische Phänomen der Staffelung nach oben auf.
An die japanischen Rollbilder, die eine Landschaft vertikal statt horizontal präsentieren, gemahnt auch Fiona Tan, die sich Wolken widmet und sie mit feinsten Linien gestaltet – meint man jedenfalls auf den ersten Blick. In Wirklichkeit sind es Fotos, die sie mit einem raffinierten Pigmentdruck zu Papier gebracht hat.
Was ein solcher Pigmentdruck an optischen Wirkungen erzielen kann, führt Thomas Neumann vor. Er greift die Begeisterung japanischer Künstler für Steine auf und bringt deren Abbild so plastisch zu Papier, dass man meint, nach Steinen greifen zu können. Auf Wolkenbildern, die wie bei Fiona Tan wie Zeichnungen wirken, aber auf Fotografien basieren, spielt er darauf an, dass die japanische Kunst keine Zentralperspektive kennt. Seine Wolken bestehen zwar aus einem feinen Liniengeflecht, wirken aber undurchdringlich und machen eine Unterscheidung von oben und unten unmöglich.
Wieder andere Künstler ließen sich von der Faszination der Japaner für verschiedene Ansichten eines Bergs anregen. Edgar Honetschläger widmete sich wie so viele japanische Künstler dem heiligen Berg Fuji und fotografierte ihn erst einmal ganz traditionell: Der schneebedeckte Gipfel ist eingerahmt von zwei Bäumen im Vordergrund. Gleich daneben findet sich eine sehr witzige Bergansicht: Honetschläger hat eine japanische Banknote mit diesem Bergmotiv fotografiert und auf einem anderen Foto einfach einen Blick in die Wolken getan – auch das ein Bild von einem Berg, auch wenn der Berg gar nicht sichtbar ist.
Und dann gibt es noch das Japan, das seit zehn Jahren in aller Welt bekannt ist: das Japan von Fukushima. Während wir dabei freilich an die Nuklearkatastrophe denken, zeigt Hans-Christian Schink auf seinen Fotografien, welche Auswirkungen das See- und Erdbeben in der Region hatte. Das erste Bild seines Zyklus zeigt eine menschenleere schneebedeckte Landschaft – eine Idylle, wüsste man nicht, dass die Gegend vor dem Unglück besiedelt war; alle Zeichen davon wurden beseitigt. Ganz im Unterschied zu einer anderen Gegend, in der Telefonmasten und neu angelegte Straßen eine Wiederbesiedlung andeuten.
Auch das ist Japan, auch das eine Art Landschaftsdarstellung, allerdings in diesem Fall ohne Bezug zur japanischen Kunstgeschichte. So zeigen alle hier versammelten Künstler, wie sehr das ferne Land unsere westliche Fantasie reizen kann, ohne dass die japanische Kultur nachgeahmt werden muss. Wie im Japonismus des 19. Jahrhunderts diente sie als Anregung. Das Resultat ist ein spannungsreiches Miteinander von Ost und West, ein „West-Östlicher Divan“ in Bildern.
„Japonismus 2.0. Landschaft im Zeichen Japans“, Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen bis 6.2.2022