Durch Jackson Pollock wurde sie populär – die Malerei, in der sich die Bewegung des Künstlers unmittelbar im Bild niederschlug. Vorbei die Zeit, da Farbe mit dem Pinsel auf die Leinwand aufgetragen wurde, möglicherweise in einem Akt tiefer Reflexion. Spontaneität, Unplanbarkeit, zufällige Bildkomposition sind die Grundzüge dieser Malerei, hinter der gleichwohl auch ein Hauch von Beliebigkeit stecken kann. Wenn man die österreichische Künstlerin Sabrina Haunsperg bei ihrer Malarbeit beobachten könnte, dann wäre die Zuordnung relativ einfach: Actionpainting pur. Eine Ausstellung im Schauwerk Sindelfingen zeigt, dass sich ihre Bilder in der reinen Malaktion keinesfalls erschöpfen.
Gelassene Introspektion scheint nicht Sache von Sabrina Haunsperg zu sein. Wenn man vor den riesigen, mehrere Quadratmeter großen Bildern steht, dann meint man geradezu zu spüren, wie sie mit großzügigen schwungvollen Armbewegungen die Sprühdose über die riesige Leinwand gezogen hat. Sie wirbelt beim Malen herum, wirft Farbe auf die Leinwand, springt in die Luft, tanzt gar: Da spritzt die Farbe durch den Aufprall auf die harte Leinwand in feinste Farbnebel auseinander. Man kann sich gelegentlich an einen Comic erinnert fühlen, in dem dann als Geräusch in einer Wortblase „Splash“ steht, mit drei Ausrufungszeichen. Man spürt, wie die Farbe aus einer Dose mit Kraft auf die Leinwand geklatscht wurde, die sich dann ihre eigenen Wege über die Fläche suchte.
Doch das ist nur die eine, die oberflächliche Seite ihres Tuns. Denn die Bilder erschöpfen sich nicht im rein malerischen Aktionismus, so vehement er auch sein mag. Da sie gern Neonfarben verwendet, die wie von selbst zu leuchten scheinen, entwickeln diese Bilder einen Sog. Man geht unwillkürlich nah an die Leinwand heran, die Farbe verschwimmt vor dem Auge. Die Bilder haben etwas Psychedelisches an sich, als wären es Bild gewordene Rauschträume, doch dann erkennt man, dass dieser Rausch durchaus geplant vonstatten ging. So bereitet Sabrina Haunsperg ihre Leinwand gründlich vor, sie grundiert sie nicht selten mit dunklen Farben, sodass sie wie Farbmeere wirken. Darauf entwickelt sie dann ihr spontan wirkendes Formenrepertoire, aber auch her zeigt sich bei einem näheren Hinsehen neben aller Zufälligkeit doch auch Reflexion. Auf den Bildern werden aktionistische Partien konterkariert mit ruhig gesetzten Farbwolken. Mal verläuft die auf die Leinwand gespitzte Farbe nach unten, weil die Leinwand dabei senkrecht an der Wand lehnte, mal ergeben sich die Farbwolken, indem die Künstlerin die Leinwände auf den Boden legt – und unwillkürlich beginnt man, sich Gedanken über die Natur von Farbe zu machen. Man erkennt die Materialität der Farbe, die manchmal geradezu körnig sein kann, dann wieder drängt sich die extreme Flüssigkeit von Farbe in den Vordergrund.
Diese Gemälde sind nicht – nur – spontane Farbergüsse auf Leinwand – Ergüsse im wahrsten Sinn des Wortes – es sind zugleich auch Erkundungen über das Wesen von Farbe.
Manchmal nimmt Sabrina Haunsperg die Farbe auch wieder zurück, löst sie mit einem Lösungsmittel auf, die dünne Brühe rinnt über die Leinwand und wird – welch Überraschung – plötzlich wieder zu einer ganz eigenständigen Farbspur. Es gibt fast nichts, was die Farbe unter den Händen dieser Künstlerin nicht könnte.
Vor allem ermöglicht sie gerade wegen ihrer großen Dynamik in der Anschauung Interpretationen jeglicher Art. Mal fühlt man sich an Aufnahmen aus der düsteren Welt großer Meerestiefen erinnert. Grünlich heben sich da Algenpolster ab vom Blau des Wassers. Auf einem anderen Bild meint man, mit dem Auge in fernste Galaxien zu wandern. Da tauchen wie aus dem Nichts zarte Milchstraßen auf. Dann wieder meint man, vor einer Wiese im Winter zu stehen. Alles wirkt wie von zartem Raufreif überzogen. Bei einem dritten Bild wiederum mag man sich an das impressionistische Gemälde mit Mohnblumen auf einem Feld von Claude Monet erinnert fühlen. Das alles natürlich ganz abstrakt, doch die Assoziationen drängen sich auf. Damit sind Sabrina Haunspergs Bilder zugleich auch Auseinandersetzungen mit der Assoziationsfähigkeit des Gehirns.
Immer wieder kehrt man zu den Bildern zurück, mit denen man schon „fertig“ gewesen zu sein glaubte. Das wirkt ein Bild wie der Blick in ein riesengroßes Aquarium. Man kann kaum glauben, dass die Bilder durchweg zweidimensional sind. Farbe kann Tiefe evozieren, und bei Sabrina Haunsperg kehren sich die Tiefenverhältnisse nicht selten um: Was auf den ersten Blick oberste Farbschicht zu sein scheint, entpuppt sich bei genauem Verfolgen der Farbspuren als untere Schicht und umgekehrt. Damit reflektiert diese Malerei zugleich über Perspektive, obgleich sie durchweg ungegenständlich ist.
Und sie macht deutlich, dass Farbe auf einer Leinwand mehr ist als bloßes Darstellungsmittel. Sie ist Materie, die ein Geschehen auslöst. Sabrina Haunspergs Bilder sind nicht Gemälde, es sind Farbereignisse.
„Sabrina Haunsperg. Werke 2008-2018“. Schauwerk Sindelfingen bis 20.1.2019