„Tristan und Isolde“ von Richard Wagner ist eine Herausforderung – an die Zuschauer, schließlich dauert eine Aufführung in der Regel fünf Stunden, an die Sänger der Titelrollen, die ein halbstündiges Liebesduett gestalten müssen, an den Dirigenten, der große Leidenschaften entfesseln muss, Wagner hielt diese Musik denn auch für eine Gefahr für die Zuhörer wegen ihrer emotionalen Intensität, und an den Regisseur, denn an Handlung geschieht auf der Bühne fast nichts, es geht im Wesentlichen um innere Zustände: Isolde und Tristan verlieben sich durch einen Liebestrank unsterblich ineinander, obwohl Isolde König Marke zur Frau gegeben wurde, wenn auch gegen ihren Willen. Am Ende steht der Tod. In Stuttgart inszeniert der Intendant der Oper, Jossi Wieler, wie stets zusammen mit seinem Dramaturgen Sergio Morabito.
Erin Caves (Tristan), Shigeo Ishino (Kurwenal. Foto: A.T.Schaefer
Üblicherweise liegt Tristan im dritten Akt dieser Oper auf seinem Krankenlager, neben ihm sein treuer Freund Kurwenal. Nicht so bei Jossi Wieler und Sergio Morabito. Hier leidet er zwar auch an einer großen Wunde in der Brust, die er sich im 2. Akt selbst zugefügt hat, aber er ist vor allem ein seelisch gebrochener Mann, verzehrt sich nach seiner großen Liebe – Isolde. Erin Caves als Tristan verfügt über eine heldische strahlende Höhe und gestaltet seinen großen Auftritt im Schlussakt faszinierend als gebrochener Mann. In dem Augenblick, in dem Isolde tatsächlich kommt, stirbt er. In der Stuttgarter Inszenierung aber steht er aufrecht da, grell angeleuchtet wie eine Verklärung. Das ist durchaus plausibel, denn in ihrem großen Schlussgesang beschwört Isolde sich den Geliebten ja geistig herauf, beschreibt, wie seine Lippen beben, der Atem spürbar ist.
Als der Regisseur Luk Perceval vor zehn Jahren an der Stuttgarter Oper „Tristan“ inszenierte, stilisierte er die Statik dieser Oper. Bewegung fand so gut wie überhaupt nicht statt. Das entspricht durchaus dem Wesen dieser Oper, denn das eigentliche Geschehen – kriegerisch, tödlich – fand ja vor Beginn der Opernhandlung statt: Tristan hatte Isoldes Verlobten Morold getötet, und als er sich unter falschem Namen durch Isolde von einer schweren Verwundung heilen ließ, verliebte sich Isolde in ihn. Jetzt holt er sie als Frau für seinen König Marke heim. Mehr als eine Schifffahrt und dann die große Liebesszene zwischen beiden gibt es nicht.
Bei Jossi Wieler und Sergio Morabito aber ist die Bühne in ständiger Bewegung. Isolde ist hochgradig nervös, findet bei Wieler keine Ruhe, läuft auf dem Schiff hin und her, raucht eine Zigarette, übergibt sich an der Reling. Und Tristan gibt arrogant den Siegerhelden, vermeidet jeden Kontakt, die beiden sehen sich kaum in die Augen. Wieler und Morabito erweisen sich wieder einmal als die großen Psychologen unter den Opernregisseuren. Durch den Liebestrank, den ihnen Isoldes Vertraute Brangäne statt des von Isolde gewünschten Todestranks reicht, sind die beiden unsterblich einander verfallen und lieben sich in ihrer großen gemeinsamen Szene.
Danach aber albern sie herum wie ausgelassene Kinder. Wieler und Morabito zeigen Menschen auf der Bühne, in diesem Fall zwei noch sehr junge Menschen, die gerade die große Liebe entdeckt haben. Wenn Brangäne die beiden warnt: „Habt acht“, weil König Marke und sein Gefolge zu nahen drohen, wehren die beiden Liebestrunkenen nur ab. Jede Bewegung in dieser Inszenierung macht den Seelenzustand der Figuren deutlich. Dirigent Sylvain Cambreling dirigiert das Vorspiel, das musikalisch eigentlich schon dieses große Liebesduett vorwegnimmt, wie eine elegische Erinnerung, als wäre alles schon vorbei. Erst später lässt er auch im Orchestergraben die Leidenschaften glühen.
Erin Caves (Tristan). Foto: A.T.Schaefer
Diese Deutung des Vorspiels passt zum Bühnenbild von Bert Neumann. Zu jedem Aktbeginn sehen wir einen heruntergekommenen Innenhof, menschenleer, bar jeden Lebens. Erst danach entwickeln sich durch raffinierte Beleuchtung die jeweiligen Szenen: Das Schiff im 1. Akt, der Liebesgarten im 2. – und die Regisseure lassen jeweils Assoziationen an frühere Wagneropern aufkommen: an den „Fliegenden Holländer“ im 1. Akt, der auch mit der Liebessehnsucht eines Schiffsjungen beginnt, an Klingsors Garten in „Parsifal“, in dem Leidenschaft und Lust regieren – eine ungewöhnliche, eine ganz und gar nicht statuarische Inszenierung dieser an vordergründiger Handlung so armen Oper.