Von Göttern, Dämonen und Spaßmachern. Das Schattentheater von Asien bis Europa im Lindenmuseum

Kein Licht ohne Schatten: Das graue Gebilde, das einem vorausgeht oder nachfolgt, ist untrennbar mit dem Menschen verbunden – Peter Pan hat seinen Schatten auf der wundersamen Insel verloren und sucht ihn verzweifelt, Peter Schlemihl in Adalbert von Chamissos Erzählung hat seinen verkauft und ist seitdem nurmehr ein Mensch zweiter Klasse. Kein Schatten ohne Licht, aber auch kein Licht ohne Schatten – diese geradezu philosophische Verbindung zwischen dem dreidimensionalen realen Körper und dem schemenhaften Begleiter hat seit jeher die Phantasie beschäftigt. Vermutlich haben schon seit Tausenden von Jahren Kinder versucht, ihrem Schatten nachzujagen, oder ihn einem geisterhaften Reich zugeordnet. So ist es nicht verwunderlich, dass er in nahezu jeder Hochkultur die Kreativität zu einer künstlerischen Blüte inspiriert hat.

Rama versucht, Kumbhakarnas Zauberspeer aus dem Körper seines Bruders zu ziehen, 20. Jh., Copyright Li~1 (674x900)

Rama versucht, Kumbhakarnas Zauberspeer aus dem Körper seines Bruders zu ziehen. Thailand, frühes 20. Jh. © Linden-Museum Stuttgart, Foto: A. Dreyer

Tänzer schwingen große fahnenähnliche Gebilde über ihre Köpfen; angestrahlt von einem diffusen Licht, werden sie auf eine Leinwand projiziert. Mit dem, was sich in Europa seit dem späten 17. Jahrhundert als Schattentheater etablierte, hat das, was in Thailand bei großen rituellen Feiern zelebriert wurde, nichts gemein. Hier wurden mit schwarzen Schablonen schwarze Gestalten auf die Leinwand gebracht, in Thailand dagegen bewegten die „Puppenspieler“ nicht kleine Figuren, dort ließen sie ganze Bilder auf großen Scheiben durch die Luft rauschen, die nahezu zwei Meter Durchmesser haben konnten. Auf diesen Scheiben waren in raffinierter Durchbruchtechnik ganze Handlungsszenen gestaltet, die die Tänzer in Bewegung brachten – und die Tänzer selbst waren – im Unterschied zu anderen Schattentheatertraditionen – Teil dieses Schattenspiels. Im benachbarten Inselreich Indonesien waren sie gar mehr als bloße „Puppenspieler“, sie wurden – wie ihre Spielscheiben – kultisch verehrt. Schattenspiel war ein ritueller Akt.

Wie generell in Ostasien! Die Inder agierten zwar mit kleineren Figuren, die in Interaktion miteinander treten konnten, aber reines Theater zur Belustigung, gar bloßes Kinderspiel, war auch das nicht, davon zeugen die roten Punkte auf der Stirn der Figuren, die somit fast in den Rang von Göttern erhoben wurden. Schon die Herstellung – man sollte besser sagen, die „Entstehung“ – dieser Figuren folgte einem strengen Ritual, bis hin zu ihrer „Beisetzung“. Ästhetisch sind diese Figuren von besonderem Reiz: Kopf, Beine und Füße waren im Profil dargestellt, die Gesichter en face, sie blicken uns unmittelbar an. Dank subtiler Durchbruchtechnik wirken diese Figuren filigran, das Licht konnte durch die Ornamente der Löcher dringen, die nicht selten farbig hinterlegt waren. Schattentheater muss beiliebe nicht schwarz-weiß sein!

Der Orientalist Paul Kahle wurde in Ägypten auf solche Figuren aufmerksam und widmete ihnen mehrere Publikationen, denn hier wies das Schattentheater, dessen Anfänge wie in Ostasien mindestens in das 11. Jahrhundert zurückreichen, eine ähnliche religiös-philosophische Tiefe auf; der hinter dem Schattenschirm verborgene Figurenspieler samt seinen Figuren war für die Mystiker des Islam gar so etwas wie ein Symbol für das Wirken des unsichtbaren Gottes.Reiter, Ägypten, 17.-18. Jh., Slg. Kahle, Copyright Linden-Museum Stuttgart, Foto A. Dreyer (900x664)

Reiter mit beweglichem Oberkörper, Ägypten, 17./18. Jh. oder früher, abgebildet im Almanach des Blauen Reiters, Slg. Kahle

Auf die von Kahle beschriebenen ästhetisch faszinierend gestalteten Figuren wiederum reagierten Künstler wie Wassili Kandinsky voll Begeisterung. In ihrer Suche nach einer neuen Bildsprache sahen sie in der Synthese von figürlicher Form und abstrakter Ornamentik eine Bestätigung ihrer Bemühungen; Kandinsky nahm mehrere dieser Figuren in seinen Almanach „Der blaue Reiter“ auf, und durch den Kaufmann Gustav Mez, der auf Kahles Anregung hin eine kleine Sammlung dieser Figuren anlegte, kamen sie schließlich an das Lindenmuseum in Stuttgart. Durch die ostasiatische Schattenfigursammlung von Friedrich Seltmann schließlich gelangte das Museum zu einem mehrere Tausend Exponate umfassenden Bestand, der dieses Museum zu einer solchen umfassenden Ausstellung geradezu prädestinierte.

Dass Schattentheater eine ausgesprochen farbige, um nicht zu sagen bunte Theaterform sein kann, zeigten in Vollendung die Chinesen. Ihre Figuren bestanden aus transparenten Pergamenten, waren ausgesprochen farbig, vor allem überaus beweglich. Wurden die Figuren in den übrigen asiatischen Reichen meist nur von zwei Stangen bewegt, entwickelten die chinesischen Figuren ein Eigenleben nahezu aller Körperteile. Kriegerin, China, Provinz Sichuan, um 1900, Slg. Eder, Copyright Linden-Museum Stuttgart, Foto A. Drey~1 (601x900)

Kriegerin, China, Provinz Sichuan, um 1900, Slg. Eger. © Linden-Museum Stuttgart, Foto: A. Dreyer

Bis zu dreizehn Gelenke konnte eine solche Figur haben. Allerdings fehlte in China weitgehend der religiöse Charakter. Schattentheater diente hier der Belustigung, war nicht zuletzt dank der Musik und dem Gesang große Oper – ein Volksvergnügen von höchster ästhetischer Meisterschaft.

Je weiter man nach Westen blickt, umso mehr schwindet der ursprünglich rituelle Hintergrund dieser Kunstform, dafür entwickelte das Theater eine neue gesellschaftliche Dimension. Im türkischen Reich entstand eine Art Volkstheater um zwei höchst unterschiedliche Figuren – Karagöz und HacivatHacivat und Karagöz, Türkei, 1950-60er Jahre, Slg. Tugtekin, Copyright Linden-Museum Stuttgart, Foto A~1 (696x900), so etwas wie die muslimischen Camillo und Peppone. Das bot Gelegenheit zur Satire, gelegentlich auch für Kritik an der Obrigkeit, die im ostasiatischen, vor allem indonesischen Raum völlig fehlte – und beeinflusste das, was dann in Griechenland, ähnlich farbenprächtig, zur Schattentheaterkultur avancierte.                           

Hacivat und Karagöz, Türkei, ca. 1950/60er Jahre, Slg. Ragip Tugtekin. © Linden-Museum Stuttgart, Foto: A. Dreyer

Nur der europäische Westen begnügte sich mit einer Sparversion dieser hochsensiblen, phantasiereichen Kunst. Das Schattentheater war hier von Anfang an eher etwas für Kinder und hatte nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit den Dimensionen des asiatischen Spiels. Schattentheater, das macht diese Ausstellung deutlich, ist ein vielschichtiges theatralisches Geschehen, das seine Wurzeln im kulturellen Gedächtnis der großen Kulturen hat. Dem wird in Europa erst das gerecht, was unter diesem Namen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstand. Dank moderner Halogenlichttechnik müssen die Figuren nicht mehr eng am Schattenschirm entlanggeführt werden, damit ihre Umrisse scharf bleiben.Feuervogel, Entwurf Enrico Baj, 1997, Slg. Reusch, Copyright Int. Schattentheater Zentrum Schwäbisch G~1 (852x900)

Feuervogel, nach Entwurf von Enrico Baj für eine Inszenierung des Teatro Gioco Vita, Italien, 1997, Slg. Reusch © Internationales Schattentheater Zentrum Schwäbisch Gmünd, Foto: A. Dreyer

 

Während, wie alle Artikel im Katalog am Ende vermerken, in den traditionellen Hochburgen des alten Schattentheaters diese Kunstform an Beliebtheit hinter moderneren Medien wie Figurentheater, Film und Trickfilm zurückstehen mussten, erlebt sie in Europa wieder eine Rückkehr zu jener Synthese der unterschiedlichsten Künste wie Musik, Tanz, Sprechtheater, die allerdings auch im ostasiatischen Raum durchaus neu gepflegt wird, doch das zu dokumentieren wäre Aufgabe einer anderen Ausstellung, möglicherweise in Schwäbisch Gmünd, wo sich seit Jahrzehnten ein internationales Schattentheaterzentrum etabliert hat. Die Schatten in dieser modernen Spielart können in Sekundenschnelle von winzig klein zu riesengroß mutieren, sind nicht mehr an eine Leinwand gebunden, sondern können sich frei im Raum entfalten. Erst jetzt konnte auch in Europa das alte Schattentheater das werden, was es, wie die Ausstellung deutlich macht, im asiatischen Raum von Anfang an war und auch heute sein sollte: ein magisches theatralisches Erlebnis für Jung und Alt.

Die Welt des Schattentheaters. Lindenmuseum Stuttgart bis 10.4.2016. Katalog 29.90 Euro

Horst Simschek und ich haben auf Youtube einen Film zur Ausstellung veröffentlicht:

https://www.youtube.com/watch?v=lCBxAMRP6fg

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