Es gibt Künstler, die eine Art „Markenzeichen“ haben, an denen man sie sofort erkennt. Das kann eine Handschrift sein wie die dick aufgespachtelte Farbe bei van Gogh, eine Darstellungsweise wie die Multiperspektivität in Picassos Figurenbildern oder eine Formeigenschaft wie die dürren Figuren eines Giacometti. Bei der Bildhauerin Gerda Bier sind es die Materialien: altes Holz und Eisen, aus denen sie neue Skulpturen schafft, und das, wie eine Ausstellung in der Galerie im Prediger in Schwäbisch Gmünd beweist, seit Jahrzehnten.
Türrelikt, 1997
Man könnte den Eindruck gewinnen, diese Bildhauerin zähle zu den „objet trouvé-Künstlern“. Schon der Titel einer Arbeit legt es nahe: Türrelikt, ein Überbleibsel einer uralten Tür, das Holz schwarz, als habe es die Hitze einer Schmiede aushalten müssen, das Eisen verrostet. So etwas kann man möglicherweise in alten Häusern auf dem Land finden, in der Stadt wäre es längs dem Neuen gewichen. In der Tat hat Gerda Bier in einem alten toskanischen Bauernhaus einen solchen Fund gemacht, doch wenn man genau hinsieht, dann handelt es sich nicht um das Objekt, das sie dort entdeckt hat. Da finden sich Eisen- und Blechteile, die nicht zu einer Tür gehören; sie sind kunstvoll mit dem Holz verbunden, sodass man fast den Eindruck hat, Holz und Eisen seien eine materielle Synthese eingegangen. Gerda Bier verwendet zwar ausschließlich alte, gebrauchte Materialien, aber sie stellt solche Objekte nicht einfach als Kunstwerke aus, vielmehr beginnt sie einen raffinierten, genau geplanten, handwerklich meisterhaft durchgeführten Kompositionsprozess. Am Ende meint man zwar, ein altes Gebilde vor sich zu haben, doch was da entstanden ist, ist etwas gänzlich Neues, das es so in der zivilisatorischen Welt, und aus der stammen meist ihre Grundmaterialien, nicht gibt. So entsteht ein Paradox: Aus alten, gebrauchten Dingen werden neue Skulpturen, die gleichwohl den Eindruck des Archaischen, Ursprünglichen erwecken.
Dieser Eindruck des Archaischen rührt natürlich aus der Verwendung alter Materialien her. Verwittertes, Gealtertes aber heißt nicht Tod, sondern erzählt zugleich eine Geschichte von Leben. Gerda Biers Plastiken bewahren in sich die Historie der Ausgangsdinge. Ihre Arbeiten sind Form gewordene Vergangenheit. Man fragt sich unversehens, wo solche Türelemente existiert haben könnten, die Fantasie schweift ab in ferne Vergangenheiten, unwegsame Lebensbereiche, in denen der Mensch keinen Platz zu haben scheint. Alles wirkt in sich ruhend, allzu selbstverständlich autark, und doch sind es Objekte, die von Menschenhand gestaltet worden waren: Gezimmertes, Geschmiedetes. Die Ausgangsmaterialien für diese Skulpturen sind Produkte eines handwerklichen Prozesses und wirken doch wie von allein entstanden – durch die Einflüsse von Zeit und Witterung.
Liegende Figur 1, 1988
Gerda Bier gelingt mit ihren Skulpturen ein Spagat über die Zeiten: Altes wurde zur neuen, modernen Plastik, gegenständliche Ausgangselemente gingen ein in eine abstrakte Form, denn realistisch wird hier nichts nachgebildet, und doch handelt es sich – auch das ein spannender Spagat – nicht um abstrakte Kompositionen. Schon die Titel verraten die Richtung: Türrelikt, Liegende Figur, Haus – allerdings derart auf die wesentlichen Formkomponenten reduziert, dass sie sich stets an der Grenze zur Ungegenständlichkeit befinden.
So wirken ihre Arbeiten aus mehreren Gründen rätselhaft: Da ist das alte Material, da ist die neue Form, da sind die gegenständlichen Assoziationen und die Abstraktionen – Widersprüche allesamt, die sie zur Einheit bringt und die die Vorstellungskraft des Betrachters anregen zu immer neuen Spekulationen. Zugleich sind es hochgradig ästhetische Gebilde, die in ihrer Perfektion und formalen Stimmigkeit faszinieren.
Seelenhaus, 2018
Und es sind Reflexionen über das Leben: die Grundbefindlichkeit des auf das Nötigste reduzierten menschlichen Körpers, das Religiöse in der Kreuzform, die Suche nach Geborgenheit im Haus, die Frage nach der Endlichkeit im Seelenhaus oder Schrein. Es gibt kaum eine Sphäre der Existenz, die nicht in diesen Arbeiten Form gefunden hätte, und damit sind die Arbeiten von Gerda Bier letztlich Symbole für das Menschliche schlechthin.
„Gerda Bier. Figur und Gehäus – vom Gedächtnis der Dinge“. Galerie im Prediger Schwäbisch Gmünd bis 26.8.2018