Die Bedeutung eines Komponisten kann man an der Zahl der Aufführungen und Interpretationen seiner Werke ablesen. Da steht Johann Sebastian Bach gewiss nicht schlecht da. Ein Maß für seinen Rang ist aber auch die Anzahl von Kunstwerken, die durch seine Musik angeregt wurden – und da erwies sich Bach als wahrer Inspirationsquell. So regte seine Musik zahlreiche Musiker an, sei es, seine Werke zu bearbeiten, wie dies Leopold Stokowski mit Orgelstücken für Orchester tat, sei es, Bachs Kompositionen in neuen Tonsprachen weiterzuführen wie etwa Dieter Schnebel. Aber auch die bildenden Künstler ließen sich vor allem von dem Meister der genau strukturierten Komposition anregen, bezeichnenderweise Vertreter der abstrakten Kunst, die sich ganz auf formale Aspekte konzentriert. Aus Anlass der 333. Wiederkehr von Bachs Geburtstag hat das Stadtmuseum Tübingen acht Tübinger Künstler um eine Hommage gebeten.
Axel von Criegern, Brandenburgische Konzerte, 2018
Nicht jeder Künstler von heute muss unbedingt ein Bachfan sein. Axel von Criegern beispielsweise empfand seine Musik als zu wenig humorvoll und – im negativen Sinn verstanden – protestantisch. Doch dann musste er feststellen, dass sich seine Fantasie doch erstaunlich spielerisch durch Bachs Musik anregen ließ und zugleich seine Vorgehensweise immer bewusster machte. Im Metall kombinierte er Bachs formale Strenge, indem er klare Schnitte in das Metall zog, mit großer Fantasie, die Bachs Kompositionen eben auch aufweisen. So „bearbeitete“ er – was Bach selbst gern tat – sein Material durch Punzieren und Durchlöchern, sodass die formale strukturale Strenge kaum mehr sichtbar ist.
Den spielerischen Humor, den von Criegern anfänglich vermisste, scheint Susanne Höfler intuitiv gespürt zu haben. Mit lockerem Handgelenk ließ sie die Kreide über das Papier tanzen und schuf heitere lineare Impressionen, die doch zugleich einem der am klarsten strukturierten Werke gewidmet sind, dem Wohltemperierten Klavier, in dem Bach systematisch alle Dur- und Molltonarten durchspielte und so eine Lanze für die neu erfundene „Wohltemperiertheit“ brach, die es ermöglichte, auf einem Instrument alle Tonarten spielen zu können. So gestaltete Susanne Höfler vierundzwanzig Zeichnungen – für jede Tonart eine –, ergänzt durch eine fünfundzwanzigste, gewissermaßen eine Zusammenfassung aller vorangegangenen, denn die Strichdichte ist hier ungleich höher.
Frido Hohberger, Klangobjekt zu Johann Sebastian Bach WTK I, Nr. 2 in c-moll (Präludium und Fuge BWV 847), 2018
In derselben Komposition entdeckte Frido Hohberger das, was Axel von Criegern ausgespart hatte: die Farbe. Er entwickelte eine regelrechte Klangfarbentheorie und malte auf Holz raffinierte Kompositionen, in denen sich von den Seiten zwei Farbschichten streng nach innen zu schieben scheinen und gewissermaßen das Innenleben der Arbeit zudecken wollen: eine Farbimpression, die nach hinten hin immer freier wird.
Ralf Ehmann hatte offenbar schon vor der Anregung durch das Stadtmuseum eine Beziehung zum Thomaskantor, allerdings über einen Umweg. Er lernte dessen Musik durch die Interpretation eines Glenn Gould kennen, dem er mit einer Kopfstudie ein Denkmal setzte bis hin zum leicht geöffneten Mund, dem während des Klavierspiels so oft mitsummende Töne entströmten.
Gerhard W. Feuchter, Die Kunst der Fuge/Verschiebung, 2018
Gerhard W. Feuchter näherte sich dem Musiker über dessen Vita in einer Collage mit den Orten seines Schaffens und kombinierte in einer zweiten Collage die wesentlichen Pole seines Lebens: Klaviertastatur, Noten und grafisch umgesetzte akustische Wellen. Aus Papiermasse schuf er zwei Halbkreise, die leicht versetzt durch eine Fuge im wahrsten Sinn des Wortes zusammengehalten und so zur Einheit gebracht werden.
Ralf Bertscheit fand eine formale Entsprechung für die Fuge durch Papierfaltungen, die in buntem Farbenspiel changieren und so die Strenge der Form auflösen.
Strenge der Struktur auch bei Martina Milke. Sie zog blaue Linien – vage Anklänge an Notenpapier -, zwischen denen sich mit Aquarellfarben ein feines freies Farbspiel ergibt. Jürgen Klugmann griff Bachs Cellosuiten auf und ließ Kugelschreiberlinien die klingenden Saiten des Instruments widerspiegeln. Die Linien wiederum verschränken sich in kreisenden Bewegungen miteinander wie Teile einer Fuge und führen zu weiteren Variationen desselben Themas – eine Zeichnung im Kompositionsstil fugaler Musik.
Präsentiert wird dies alles im Treppenhaus des Museums, auf den ersten Blick eine eher respektlose Platzierung, doch kann man in den aufwärts führenden Stufen ja auch ein musikalisches Kompositionsprinzip entdecken: Jede Stufe eine Note, und wenn man bei Frido Hohbergers Hommage an das Wohltemperierte Klavier vorbeikommt, darf man Bach sogar auch hören, nicht nur „sehen“.
„Bach 8 / Acht Tübinger Künstler“. Stadtmuseum Tübingen bis 6.1.2019 Katalog 23 Seiten, 9 Euro