In der Renaissance vertreten sie ihren Stand. Kinder als Individuen kennt die bildende Kunst Jahrhunderte hindurch nicht. Erst die Niederländer entdecken das Kind als solches, zeigen ese auch beim Spielen, doch meist in der Gruppe, als Einzelbildnis bleibt es Rarität. Galten Kinder dem Adel als Symbol der Weiterführung des Geschlechts, so dem Bürgertum im 19. Jahrhundert als Zubehör zur Familie wie die Eltern und Großeltern. Erst das 20. Jahrhundert würdigt das Kind als eigenständiges Wesen, bis hin zur Schnappschusskultur unserer Tage, wie eine Ausstellung im Museum Biberach zeigt.
Johann Friedrich Dieterich, Baroness Marie von Maucler und Baron Emile von Maucler
Fotos von Kindern beim Baden, beim Sprung ins kühle Nass oder auch beim Ballettunterricht bilden das Entree zur Ausstellung. Das ist unsere Sicht auf die Kinder, eine ziemlich neue Sicht. Wie man Kinder vor zweihundert Jahren sah, zeigen zwei Porträts, die der Freiherr von Maucler von zwei seiner Sprösslingen zu Beginn des 19. Jahrhunderts anfertigen ließ. Das Mädchen in weißem Kleid mit Ausschnitt, als ginge es gerade zum Ball, mit einem Blumenkorb, also etwas Ästhetischem, der Junge mit einem kleinen Fernrohr in der Hand, also etwas technisch Praktischem, und die Titel der Bildnisse geben nicht einfach die Namen der beiden Kinder an, Emile und Marie, sondern den sozialen Status: „Baroness Marie von Maucler“ und „Baron Emile von Maucler“. Zugleich sind die gesellschaftlichen Rollenbilder dargestellt. Die Sphäre des Mädchens ist das Interieur, die des Jungen der Außenraum. Das Mädchen ist vor einem rosafarbenem Hintergrund porträtiert, der Jung vor einem blauen. Das sind Vertreter eines Standes, keine Individuen.
Ganz anders die Kinder auf Gemälden, die das Bürgertum wenige Jahre danach in Auftrag gab: Keine Einzelbildnisse, die Kinder sind im Verein der ganzen Familie zu sehen, und dazu gehören auch die Großeltern, und wenn sie nur als Porträtgemälde an der Wand vertreten sind. Auch diese Bilder zeigen Gesellschaftsverhältnisse, nicht lebendige Menschen.
Vor allem fehlt diesen Bildnissen das, was die Schnappschüsse von heute auszeichnet: Lebendigkeit, Freude, Spaß. Kinder beim Spiel finden sich auf Bildern des 19. Jahrhunderts nicht. Selbst wenn sie mit ihrem Lieblingstier dargestellt sind, einem Hund, einem Schaf, sind diese Tiere nur Bildaccessoires. Auch die soziale Realität bleibt ausgeblendet: die frühe Kinderarbeit auf dem Feld, die Schule, schließlich gab es bereits die allgemeine Schulpflicht, auch wenn bei weitem nicht alle Kinder ihr Folge leisten konnten. Kinder auf den Bildern des 19. Jahrhunderts sind Genrewesen, wie der Hütejunge, den Anton Braith malte. Das ist kein echter Hütejunge, das ist der Hütejunge schlechthin.
Josef Braun, Vorgarten im Ebnet, Wangen, um 1942
Erst das 20. Jahrhundert entdeckt die Individualität. Jetzt blicken die Kinder den Maler an, der sie porträtiert, und nicht mehr uns steif frontal entgegen. Jetzt werden auch Befindlichkeiten dargestellt – die Langeweile, die ein Kind empfindet, wenn es nicht mit anderen spielen darf, sondern die Mutter zur Arbeit im Garten begleiten muss. Bildtraditionen wandeln sich, das zeigt diese Ausstellung, sie geraten auch in Vergessenheit. So findet sich im 20. Jahrhundert in der Malerei kaum ein totes Kind, im 19. Jahrhundert engagierte man eigens Maler, die diesen traurigen Moment festhalten sollten.
Albert Burkart, Ballspielende Kinder, 1933
Dafür aber geraten die Kinder zunehmend in Bewegung. 1933 porträtierte Albert Burkart zwei Kinder beim Ballspiel; sie scheinen die Welt um sich herum vergessen zu haben, sehen nur eines, den Ball, den sie in die Luft geworfen haben. Hier sind sie Kind, jetzt dürfen sie es sein.
„Kinder“, Museum Biberach bis 2.4.2018