Vom Augenblick des Sehens zur reinen Farbe: Impressionisten in der Staatsgalerie Stuttgart

Letztlich malten sie nicht viel anderes als ihre akademischen Vorläufer des 18. Jahrhunderts. Auch die Impressionisten widmeten sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Frankreich der Landschaft, dem Porträt, ja sogar Menschen bei der Arbeit, also dem so genannten Genrebild. So ist es durchaus konsequent, wenn die Staatsgalerie Stuttgart nun eine Ausstellung zu dieser Malepoche in solche klassischen Kapitel unterteilt. Doch was den Impressionisten zu diesen Motiven auf der Leinwand gelang, hat nichts mehr mit der realistisch geprägten akademischen Malerei des 18. Jahrhunderts zu tun. Wurden da stämmige Bäume, markante Gesichter und Bauern bei der Arbeit porträtiert, mit kräftigem Strich und starken Farben, löste sich bei den Impressionisten alles Feste, Gegenständliche auf in Farbtupfer.

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Pissarro, Der Gärtner, 1899 © Staatsgalerie Stuttgart

Vom Titel und Motiv her hätte „Der Gärtner“ von Camille Pissarro gut und gerne im 18. Jahrhundert entstanden sein können, doch ob nun das Gras der Wiese, die Sträucher oder der mit blauer Schürze und Sonnenhut bekleidete Gärtner – nichts hat auf diesem Bild Vorrang, alles ist gleich bedeutend, gleich wichtig und vor allem gleich behandelt. Pissarro setzt alle Gegenstände seines Bildes, ob landschaftliche Fläche oder den dreidimensionalen Körper aus kleinen Strichen zusammen. Es beginnt vor dem Auge zu flirren; selbst wenn die Vegetation es nicht schon nahelegen würde: Diese Szene findet im Hochsommer statt, das Licht ist ubiquitär, es durchdringt alles, mehr noch: Alles, was an Gegenstand auf dem Bild auszumachen ist, entsteht vor dem Auge des Betrachters erst durch das Licht. Es ist zwar ein spätes Bild Kunstrichtung, aber eines der reinsten, was die Technik betrifft.

Man kann das Licht auf andere Weise dem Auge nahebringen: Claude Monet gestaltete ebenso wie sein Kollege eine Wiese: Statt der Sträucher erhebt sich ein Baum aus dem Grün, statt des Gärtners mit Sonnenhut flaniert eine Dame mit Sonnenschirm, bei ihm aber wirkt das Bild nicht so nervös wie das von Strichen bestimmte Bild von Pissarro; er erzielt den Eindruck einer sommerlich abgeklärten Heiterkeit durch lauter unregelmäßige Farbtupfer.Beiden gemeinsam ist: Aus der Farbe entsteht die Welt, und zwar erst im Auge des Betrachters, die Farbe und ihre Gestaltung auf der Leinwand bietet dafür lediglich das Rohmaterial.

Dass dergleichen keine revolutionäre Erscheinung aus dem Nichts war, zeigt ein Gemälde des Engländers John Constable. Auch hier ist der lehmfarbene Boden pure Farbe, auch hier besteht der von Wolken dramatisch gestaltete Himmel aus reinen Farbstrichen, wenn auch nicht dermaßen kleingliedrig wie bei Pissarro oder Monet. Constables Bild entstand 1813, also weit vor dem Aufkommen des Impressionismus in Frankreich, seine Landschaften, vor allem die des Wolkenhimmels, sind keine realistischen Porträts, wie man sie von Malern seiner Generation erwarten sollte, sondern Bilder, die das Gefühl der Landschaft einfangen. Das ist zwar etwas anderes als der Augeneindruck, den die Impressionisten gestalten wollten, kommt dem aber sehr nahe.

So ist die Ausstellung weit mehr als eine Ansammlung von Meisterwerken (zumindest weitgehend) des Impressionismus aus der hauseigenen Sammlung der Staatsgalerie: Sie ist der Versuch einer Definition dieser Kunstströmung mit ihrer Genese und ihren Auswirkungen. Denn so wie Constables Bild noch weit vor dem eigentlichen Impressionismus entstand, so greift die Ausstellung im letzten Ausstellungssaal weit über dessen Ende hinweg, mit Gauguin beispielsweise, der mit seinen symbolistischen Bildern schon dem so genannten Nachimpressionismus zuzurechnen ist.

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Redon, Kämpfender Engel, um 1900 © Staatsgalerie Stuttgart

Von da ist es nicht mehr weit zum Symbolismus reinsten Wassers, wie ihn ein Odile Redon verfolgte – dabei aber malerisch ganz in der Tradition der Impressionisten stand. Bei seinem „Kämpfenden Engel“ (um 1900) meint man zwar die Schwingen eines Engels andeutungsweise erkennen zu können, doch richtig porträtiert sind sie nicht. Allerdings setzt sich jetzt die Bildfläche nicht mehr, wie bei den Impressionisten und den auf sie folgenden Pointillisten, aus kleinen Tupfern zusammen, jetzt dominiert die Farbwolke. Allen gemeinsam ist der Verzicht auf realistische Gestaltung.

 

Das Auge ist der entscheidende Faktor bei allen diesen Bildern – das Auge des Malers, der auf Leinwand oder Papier nur das bringt, was ihm als Ausdruck von Licht in Erinnerung blieb oder in der freien Natur im Spiel des gleißenden Sonnenlichts vom Gegenstand in der Landschaft übrig blieb. „Das Meer bei Fécamp“ nannte Claude Monet 1881 ein Ölgemälde. So hätte auch ein Gemälde einhundert Jahre zuvor heißen können. Doch da hätte man anhand von Details tatsächlich den im Titel angegebenen Ort erkennen können, nicht so bei Monet. Diese Meeresszene würde man mit den starken Wellen und der Gischt überall am Atlantik antreffen können. Ein Porträt einer bestimmten Felsklippe ist das Bild nicht, ja es ist genau genommen noch nicht einmal eine Meeresszene. Wellen, Gischt und Felsen sind in fast identischen Farben gehalten, die einzelnen Bereiche sind lediglich durch eine etwas andere Farbbehandlung und Pinselführung differenziert – letztlich ist das Bild eine abstrakte Impression in Grün- und Blautönen. degas_le_tubklein

Degas, Das Wannenbad, Frau sich abtrocknend, um 1889 © Staatsgalerie Stuttgart

Daher findet sich auf diesen Bildern auch nicht, wie in früheren Jahrhunderten, eine ausgeprägte, in die Tiefe reichende Perspektive; die Bilder sind flächig, sind nichts als Farbe auf Malgrund, selbst bei so plastischen Motiven wie einem üppigen nackten Frauenkörper, den Edgar Degas im Pastell gestaltet hat.

Eine Überraschung bietet die Ausstellung durch die zahlreichen Arbeiten auf Papier, denn mit dem Impressionismus verbindet man nahezu automatisch Farbsymphonien, doch Zeichnungen etwa von Camille Corot zeigen, dass man auch mit dem schwarzen oder grauen Kohlestrich ätherische, von Licht erfüllte Landschaften gestalten kann. Paul Cézanne gar genügten einige dünne, kaum sichtbare Bleistiftlinien und ein paar hellblaue, fast transparente Farbtupfer für den Eindruck einer perfekten Landschaft, von der doch kein Detail richtig porträtiert ist. Eine ausgesprochene Entdeckung sind die Zeichnungen von Eugène Carrière, der auf seinen Graphiken vollständig auf Konturen verzichtet und seine Figuren wie mit einem Weichzeichner ins hellgraue Nichts verfließen ließ. Noch deutlicher führt diesen Spannungsbogen zwischen erkennbarem Gegenstand und reiner Farbimpression eine Skizze von Auguste Renoir vor Augen: Ein Dutzend mal hat Renoir dort einen Frauenkopf zu Papier gebracht, von der anfänglichen Skizze mit spitzem Stift bis hin zu einer bloßen rötlich unterlegten Farbwolke. Das ist der Übergang vom realistischen Porträt zur reinen Farbmalerei auf einem einzigen Blatt.

Die Ausstellung beschränkt sich auf die Bestände, die in den Archiven der Staatsgalerie zum Thema Impressionismus finden (und zum Teil sehr lange nicht zu sehen waren), es gelingt ihr aber durch die auch über den eigentlichen Impressionismus hinaus greifenden Auswahl, deutlich vor Augen zu führen, dass der Impressionismus zwar in der Malerei des 18. Jahrhunderts seinen Ursprung hatte, sich aber innerhalb weniger Jahrzehnte zur Brücke in die reine Malerei des 20. Jahrhunderts entwickelte.

Augen. Blicke. Impressionen“, Staatsgalerie Stuttgart bis 13.11.2016. Knappe, aber informative Erläuterungen zu allen Exponaten finden sich samt Abbildungen im Internet, leider nicht als Handout in der Ausstellung vor den Exponaten, wo sie nützlicher wären.

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