Sie sollte, so stellte es sich der damalige Stuttgarter Opernintendant Klaus Zehelein vor, der „ästhetischen Erziehung“ von Kindern dienen – die Junge Oper Stuttgart: mit Operninszenierungen, die der Vorstellungswelt der Kinder und Jugendlichen entsprachen, mit Märchenspielen und gesellschaftsrelevanten Themenaufbereitungen, stets komponiert und inszeniert für das heranwachsende Publikum und meist unter Beteiligung von Jugendlichen, die mal hinter den Kulissen mitarbeiteten – in der Maske, beim Bühnenaufbau -, mal als Chor auf der Bühne mitwirkten. Unter dem neuen Intendanten Viktor Schoner hat sie einen moderneren Namen bekommen, eine neue Spielstätte und sehr viel mehr Gewicht – das JOIN, die „Junge Oper im Nord“.
Foto: Matthias Baus
Die Arbeitsbedingungen für die 1997 gegründete Junge Oper waren alles andere als paradiesisch: wenige kleine Büroräume, kaum Probenmöglichkeiten, und auch die Zahl der Aufführungen war begrenzt, denn die Bühne des Kammertheaters gleich neben der Staatsgalerie stand der Jungen Oper nur begrenzt zur Verfügung, weshalb es meist nur eine Produktion pro Spielzeit gab. Was dabei an Arbeit und Ideen entstand, war beispiellos, eine solche Institution gab es nirgends.
Unter dem neuen Intendanten Viktor Schoner konnte die Junge Oper in den Gebäudekomplex Nord der Oper Stuttgart ziehen, wo sich die drei Probebühnen der Oper befinden, auf denen alle neuen Produktionen in den ersten Probestadien einstudiert werden. Hier hat nun die Junge Oper eine eigene Bühne nebst Verwaltungsräumen. So kann alles, was die Junge Oper seit über zwanzig Jahren leistet, sehr viel bequemer absolviert werden: Nach wie vor werden Opernbesuche von Schulklassen in der Staatsoper von den pädagogischen Mitarbeitern der Jungen Oper betreut. Ausgewählte Produktionen des Spielplans werden pädagogisch aufbereitet in Form von Druckpublikationen und Beispiel-CDs. Das wird den Musiklehrern in Workshops vermittelt, die die Materialien dann in den Klassen einsetzen können. Umgekehrt besuchen die Mitarbeiter der Jungen Oper die Klassen in ihren Schulen und erläutern, was in der Oper geschieht.
Allerdings gibt es hier bereits einen Unterschied. Diese Materialien waren früher für alle Klassen identisch, jetzt hat die Junge Oper eine Art Baukastenprinzip entwickelt, mithilfe dessen die Materialien auf die Bedürfnisse der Klassen zugeschnitten werden können, denn Schulklassen sind heute sehr viel weniger homogen zusammengesetzt und damit weniger vergleichbar als vor zwanzig Jahren.
Dieses individuelle Eingehen auf unterschiedliche Bedürfnisse prägt auch die weiteren Aktivitäten, die neu zur Arbeit der Jungen Oper hinzugekommen sind. So hat man zu drei Neuproduktionen der laufenden Spielzeit Schlagwerte entwickelt: „Helfen“, bei Wagners Lohengrin, der ja als Retter in der Not nach Brabant kommt, „Lachen“ bei Prokofjews Liebe zu den drei Orangen, wozu die Inszenierung von Axel Ranisch auf intelligente Weise viel Anlass gibt, und „Sündigen“ zu den Sieben Todsünden von Brecht/Weill. Hier sind Klassen eingeladen, eigene Stücke zu entwickeln, die mit den jeweiligen Opern gar nicht unmittelbar zu tun haben müssen, sondern die Schlüsselwörter zum Ausgangspunkt haben. Auf diese Weise löst sich die pädagogische Arbeit von der engen Bindung an die einzelnen Werke, nähert sich den zum Teil etwas spröden Stücken von anderen Positionen aus, die ihre Verankerung in der Erfahrungswelt der Jugendlichen haben. Diese Produktionen werden im Sommer zur Aufführung kommen.
Ähnlich weit von der eigentlichen Oper entfernt ist ein „Buddelprojekt“, bei dem für Schüler der ersten Schuljahre, die keinen regulären Musikunterricht genießen, vor dem Gebäude Hochbeete aufgebaut wurden, in denen die Kleinen erst einmal nach Herzenslust gärtnern dürfen. Wem das dann zu öde wird, bekommt im Gebäude erste Hinführungen zur Kunstwelt Oper, die bei künstlichem Licht stattfindet, in der gesungen wird statt gesprochen etc. Auch hier eine Annäherung an das künstliche Medium Oper von der Erfahrungswelt des Alltags aus.
Nähere Heranführungen an die musikalische Seite der Opern finden im Projekt „Einstimmen“ statt, bei dem die Schüler unter Anleitung die Musik singend kennenlernen können.
Das alles wäre nicht möglich ohne die räumlichen Möglichkeiten im Nord. Das gilt auch für die „Gläserne Opernwerkstatt“, denn da im selben Gebäudekomplex ständig an den neuen Produktionen geprobt wird, können die Klassen auch in diese Proben hineinschnuppern und mit den Künstlern ins Gespräch kommen, was umso faszinierender sein dürfte, da hier die Produktionen noch auf fast nackter Bühne mit lediglich angedeuteten Bühnenbildern und Requisiten begonnen werden und sich dann immer mehr der späteren Gestalt nähern.
Frank, der Schauspieldirektor: Sebastian Schäfer. Foto: Christoph Kalscheuer
Insofern war es geradezu programmatisch, dass das neue JOIN mit Mozarts Schauspieldirektor sein Programm aufnahm, denn darin geht ja auch um einen Blick in den Opernbetrieb. Es ist dies nur eine von insgesamt sechs Produktionen in dieser Spielzeit, eine Zahl, die der Jungen Oper im beengten bisherigen Arbeitsraum unmöglich war. So hat der neue Arbeitsort der Jungen Oper im Nord gewissermaßen die neue Struktur inspiriert und überhaupt erst ermöglicht.