Verstörende Welten: Franz Radziwill in der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen

Der Technikeuphorie zu Beginn des 20. Jahrhunderts, für die die Futuristen eine ausdrucksstarke Ästhetik fanden, folgte die Fortschrittsskepsis, die Hybris, der Mensch könne alles machen, wich der Erkenntnis, dass er auch die Welt vernichten könne. Eine solche Entwicklung, für die die Gesellschaft Jahrzehnte brauchte, scheint der Maler Franz Radziwill in wenigen Jahren erfahren zu haben, denn während er in den 20er Jahren noch moderne Schiffe eher neutral porträtierte, in expressionistisch aufgeregtem Duktus, entwickelte er danach einen fast fotorealistischen Stil und schuf mahnende Botschaften in verstörenden Bildern.

Nüchtern lautet der Untertitel der Ausstellung: Landschaft, Technik, Medien, so als könnten die drei Phänomene eine harmonische Synthese eingehen. Und nüchtern sind sie auch auf den Bildern porträtiert. Da zieht ein Luxusdampfer an einer Großstadtstraße vorbei. Die Gegend ist wohlhabend, das Haus hochherrschaftlich. Und doch ergreift einen Unbehagen, nicht nur wegen des Bildtitels: Nach dem Unglück. Denn es könnte auch Vor dem Unglück heißen, schließlich schießt ein Jagdflugzeug im Sturzflug auf das Haus zu. Solche irritierenden Kombinationen prägen die Bilder des 1895 geborenen Franz Radziwill.

Immer wieder findet sich Landschaft auf den Bildern, es gibt auch Menschen, aber sie sind verschwindend klein verglichen mit den hohen Metallmasten eines Senders: der Mensch – eine quantité négligeable, die Technik beherrscht die Welt. Auch die gute alte Zeit findet sich auf den Bildern, etwa ein rührend altmodisches Bremen, wie aus der Biedermeierzeit. Aber diese heile Welt ist von uns durch eine Mauer getrennt, und dahinter ragt groß und dunkel ein Wasserturm in die Höhe wie ein Golem – Symbol einer technischen Welt, die für die natürliche gleichwohl notwendig ist, denn im Vordergrund bewässern Gärtner ihre noch winzig kleinen Pflänzchen.

Radziwills Bilder bestehen aus Gegensätzen: alt und neu, Natur und Technik, Idylle und Industriemoloch. Dabei geht Radziwill immer wieder über das bloße Porträt hinaus. So winden sich über einer Industrieanlage Rohre wie riesengroße künstliche, bedrohliche Schlangen. Mond und Sonne mutieren häufig zu gefährlich anmutenden Ufos. Die Welt scheint auseinanderzubrechen. Der Himmel wirkt auf so manchen Bildern, als bestehe er aus einer Steinplatte, die zu bersten droht.

Radziwills Bildwelten geben Rätsel auf. Was auf dem Bild Nach dem Unglück wie eine schlichte Straßenbaustelle aussieht, erscheint beim zweiten Blick wie eine Öffnung geradewegs in den Hades. Am Himmel lodert eine Art rote Flamme, als sei sie aus dem Ozeandampfer entwichen. Sein Bild mit dem harmlos wirkenden Titel Erinnerung an Düsseldorf zeigt im Vordergrund zwei abgebrochene antike Säulen. Am Flussufer lagert eine weibliche Gestalt, die sich bei näherer Betrachtung als Statue aus Stein entpuppt.

Zunehmend wurden Radziwills Bilder Endzeitszenarien. Er habe, bekannte er einmal, viel bei Hieronymus Bosch gelernt. So kann man seine Bilder deuten als Weiterführungen jener Montagetechnik, die der Meister des Gartens der Lüste so irritierend beherrschte. Auch Radziwill baut seine Bilder aus meist erkennbaren, geradezu vertrauten Elementen auf, die aber bei genauerem Hinsehen miteinander nicht viel zu tun zu haben scheinen. Dadurch erhalten seine Bilder etwas Verstörendes ähnlich wie die Bilder eines René Magritte.

Da stürzt dann mal eine altmodische Uhr vom Himmel ins Meer, in dem schemenhaft menschliche Gestalten treiben. Tore, eigentlich ja Öffnungen, Durchlässe, wirken wie Hindernisse, die keinen Ausweg erlauben. Mauern, eigentlich gedacht zum Schutz von Eigentum, versperren hier den Weg; dienen sie im Leben einem Zweck, so scheinen sie auf den Bildern Selbstzweck zu sein. Radziwill malte Bilder einer Welt, in der Leben nicht möglich ist, gar nicht vorgesehen scheint, und sich eher zufällig am Rande ereignet.

Und Radziwills Bilder sind Botschaften. Eine Hölle habe er sich nicht vorzustellen brauchen wie etwa ein Hieronymus Bosch, er habe sie erlebt. Und, so möchte man hinzufügen, sie war erst ein Vorgeschmack dessen, was der Mensch mit seiner Leidenschaft für das technisch Machbare noch hervorbringen wird.

Da ist der Himmel mit der Technik vernagelt, so ein Bildtitel, es gibt eine Landschaft der Technik, und der Mensch nimmt davon nichts wahr, er liest die Zeitung und merkt nicht, was um ihn herum in der realen Welt geschieht. Solche Bilder wirken visionär, als habe Radziwill unsere Gegenwart vorausgeahnt, in der der Blick auf das Mobiltelefon wichtiger ist als der Blick in die Welt, in der sich riesige Ozeandampfer bis an den Dogenpalast in Venedig schieben und das großartige Bauwerk zur Zwergenexistenz verkümmern lassen.

Es hätte so schön sein können, wenn… konstatiert ein Bildtitel. Links eine idyllische Szene mit einem auf einem Ruderboot sitzenden Trompetenspieler. Doch darüber wartet schon der Friedhof unter einem Mond am Himmel, der wie ein Glutball wirkt. Die Zukunft, so könnte man einen berühmten Buchtitel zitieren, hat schon begonnen, sie ist nicht erstrebenswert, und Radziwills Bilder, vor Jahrzehnten entstanden, sind so aktuell wie seit eh und je, wie einige Arbeiten von jüngeren Künstlern in unserer Zeit zur selben Thematik zeigen. Radziwill steht ihnen in seiner Drastik und mahnenden Eindringlichkeit nicht nach.

Franz Radziwill und die Gegenwart. Landschaft. Technik. Medien. Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen bis 22.4.2019. Katalog 169 Seiten, 24.90 Euro

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