In der Regel verhalten sich die Opernkomponisten sängerfreundlich und schreiben die schwierigen Arien in die erste Hälfte der Oper. So singt Radamès sein „Celeste Aida“ gleich zu Beginn von Verdis Ägyptenoper, die Felsenarie der Fiordiligi in Così fan tutte erklingt im 1. Akt, und auch Rossini lässt in seinem Barbier von Sevilla Rosina ihre Koloraturarie früh singen. Nicht so in La Cenerentola. Hier bildet die mit Koloraturen gespickte Hauptarie der Titelfigur den Schluss der Oper. Nach drei Opernstunden eine Herausforderung.
Gyula Rab (Don Ramiro), Alexander Grassauer (Alidoro), Anna-Katharina Tonauer (Angelina), Daniel Gutmann (Dandini), Herrenchor des Staatstheaters am Gärtnerplatz © Christian POGO Zach
Aber offenbar nicht für Anna-Katharina Tonauer. Sie absolviert diesen Stimmparcours, als wäre es ein Spaziergang für die Stimmbänder, streut wie selbstverständlich die Koloraturen ein, meistert die riesigen Tonsprünge, verfügt über die nötige Tiefe, vor allem aber auch über eine strahlende Höhe. Zudem ist sie eine komödiantische Begabung. Die hatte sie bereits während der Ouvertüre unter Beweis gestellt, als sie quicklebendig mit raschen Schritten zwischen Buffet und Küchentisch hin- und hereilte, um das Frühstück für die beiden Stiefschwestern zu bereiten.
Spielfreude und hohe Gesangskunst, vor allem für die Anforderungen, die Rossini an seine Sänger stellt, auch bei Gyula Rab, der für den Prinzen Ramiro die nötige leichte Tenorstimme zur Verfügung hat, mit der er die schwierigen Koloraturen und Spitzentöne meistert. Alexander Grassauer stattet den Philosophen Alidoro, der den Prinzen berät, mit einem warmen, flexiblen Bass aus, was gerade zu dieser Rolle hervorragend passt, ist er doch so etwas wie die gute Fee, die vom Hintergrund aus die Handlung in die richtige Richtung treibt, dafür sorgt, dass Cenerentola auch auf das Fest im prinzlichen Schloss darf und dort alle mit ihrer Grazie und Schönheit erstarren lässt – die einen vor Neid, die anderen vor Bewunderung.
Levente Páll (Don Magnifico) © Christian POGO Zach
Und Levente Páll ist eine Idealbesetzung für den komischen Bariton, der sogar die rasanten Zungenbrecher bewältigt, die solchen Figuren oft den typisch rossinihaften Witz verleihen.
Librettist Jacopo Ferretti hat der Handlung alle märchenhaften Züge ausgetrieben und eine Gesellschaftskomödie mit ernsten Untertönen verfasst. Statt der guten Fee übernimmt es hier Alidoro, die Handlung in die richtigen Bahnen zu lenken, setzt sich für Cenerentola ein und bringt letztlich das Happy End zuwege. Regisseurin Brigitte Fassbaender, selbst eine gefeierte Mezzosopranistin, die die Cenerentola jedoch nie gesungen hat, betont Alidoros Rolle durch kleine Gesten. So springt er Angelina – „La Cenerentola“ – bei ihrem Auftritt im Schloss am Anfang behutsam bei, flüstert die richtigen Worte ein, bis sein Schützling mit den ersten Koloraturen die nötige Selbstsicherheit aufbringt und ihren Part von da an allein bewältigt.
Die Handlung ist im Hier und Heute angesiedelt. Cenerentola schläft im Küchenschrank und träumt mit der Zeitschrift Gala bei einem Foto von Prinz Harry – bei der Inszenierung 2015 noch unverheiratet – von einem Prinzen. Ihre eitlen Schwestern steigen derweil aus grellbunten Kleiderschränken. Und die finanzielle Misere des Hausherrn macht die Regie gleich während der Ouvertüre deutlich, indem sie ein paar Kaufinteressenten durch das Haus von Don Magnifico laufen lässt. Denen hätte man freilich schalldämpfende Schuhsohlen verpassen sollen; so wird die Ouvertüre durch allerlei Schrittgeräusche gestört.
Daniel Gutmann (Dandini), Herrenchor des Staatstheaters am Gärtnerplatz © Christian POGO Zach
Und doch muss Brigitte Fassbaender auf Märchenhaftes nicht verzichten. Wenn Dandini, Ramiros Diener, auftritt, der sich als Prinz verkleidet hat, um die Damenwelt für seinen Herrn zu sondieren, kommt er als der Märchenprinz schlechthin auf die Bühne, als Ludwig II., und hinten erhebt sich als Bühnenprospekt Neuschwanstein – eine reizende Anspielung auf das Gärtnerplatztheater, für dessen Bau Ludwig verantwortlich war. Im Schlussakt ist die Bühne in caprihaftes Blau getaucht und Don Magnificos Haus in die Venusgrotte von Schloss Linderhof verwandelt, und der Prinz rudert in einem Schwan über die Bühne. Kurz erklingt das Hornmotiv aus Wagners Götterdämmerung, und Cenerentola tritt am Ende als Sissi auf, wie sie in Luchino Viscontis Ludwigfilm von Romy Schneider verkörpert wurde.
Empfindlich gestört freilich wird diese Lustspielinszenierung durch Gags, die aufgesetzt sind und somit unnötig. Wenn Don Magnifico ein Dekret diktiert, verwandelt sich die Bühne in ein Klassenzimmer, der Chor tritt allzu statuarisch auf, die beiden Stiefschwestern sind zu lächerlichen Witzfiguren degradiert, und nachvollziehbare Interaktion zwischen den Figuren findet kaum statt. Doch überzeugt der Grundgedanke der Inszenierung und vor allem das Bühnenbild von Dietrich von Grebmer, in dem sich die Bühne nach hinten durch immer weitere Bühneneingänge vervielfältigt – ein passender Rahmen für eine Oper, in der alle nur eine Rolle spielen und wo Daniel Gutmann als Dandini neben seiner Ludwigattitüde Gesangsverzierungen à la Pavarotti einstreuen darf.
Als Stream abrufbar bis 8.2.2021, 23 Uhr
https://www.gaertnerplatztheater.de/en/produktionen/la-cenerentola.html?ID_Vorstellung=2668&m=450
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