Sie werden ausgebeutet als Arbeitstiere, hingemetzelt als Schlachtvieh und gehätschelt als Schoßhündchen – das Verhältnis des Menschen zum Tier ist zwiespältig: Mal wird es in Massen gehalten, mal zärtlich verwöhnt als Kindersatz. Es hat sich viel geändert im Lauf der Geschichte, in diesem Verhältnis aber offenbar wenig; es hätte mehr sein können, wenn es nach den Künstlern gegangen wäre, wie nun eine Ausstellung im Kunstmuseum Ravensburg zeigt.
Sie war europaweit eine Berühmtheit – Clara, wenn auch keine Dame von Welt oder Halbwelt, sondern der Tierwelt, ein Nashorn. Ein Kapitän hatte Clara nach Europa gebracht und an den Fürstenhöfen und auf Jahrmärkten präsentiert. Aus Anlass ihres Besuchs in Stuttgart wurde sogar eigens eine Medaille geprägt. Zugegeben, Clara war ihrem natürlichen Lebensraum entrissen, aber sie hatte sicherlich kein schlechtes Leben, schließlich brachte sie ihrem Besitzer gutes Geld ein und starb mit 30 Jahren eines natürlichen Todes.
Ganz so human ging man mit Tieren nicht immer um. Ein Kupferstich zeigt, wie zwei Bären zum Tanz angehalten werden und dabei an Ringen durch die Nase vorgeführt werden – der Mensch ist der Herr, das Tier ihm untertan.
Albrecht Dürer scheint da rund 250 Jahre zuvor eine andere Einstellung gehabt zu haben. Auch er widmete sich dem Nashorn. Als er eine Rhinozeros in einer Radierung gestaltete, entsprach das zwar nicht ganz der anatomischen Realität, es wirkt aber erstaunlich lebensecht, obwohl Dürer nie ein solches Tier gesehen hatte, sondern lediglich zwei Augenzeugenberichte besaß, doch künstlerisches Einfühlungsvermögen führte zu einer bemerkenswerten Ähnlichkeit mit der Natur. Vor allem ist die Darstellung frei von allem menschlichen Hochmut gegenüber dem Tier.
Eine solche emotionale Nähe sollte freilich noch lang ausbleiben. Erst als das Tier als Zugtier durch die Maschine ersetzt wurde, überdachte der Mensch sein Verhältnis zur animalischen Kreatur, das Tier wurde Haustier, Partner des Menschen, Frauen wurden im Bett porträtiert mit einer Katze, Kinder hätscheln das Haustier, ja das Tier setzt sich gar an die Stelle des Menschen. Auf einem Bild von Max Liebermann hat der Dackel den Platz des Menschen auf dem Sessel eingenommen.
Das 20. Jahrhundert ging dann einen Schritt weiter. Franz Marc wollte seine Pferde nicht lebensecht porträtieren wie Dürer das Nashorn, er wollte das „Zittern und Rinnen des Blutes“ in einem solchen Tier spürbar machen. Doch immer noch blieben Mensch und Tier Welten für sich. Erst nach dem 2. Weltkrieg machten sich die Künstler Gedanken über das eigene Ich und kamen wie die Künstlergruppe CoBrA zu der Überzeugung, dass das Tier Symbol für sehr Menschliches sein kann: Der Mensch steht nicht mehr dem Tier gegenüber, er birgt das Tier in sich. So stellte Asger Jorn auf einem Gemälde seine Künstlerkollegen als Tierfratzen dar.
Von da ist es nur noch ein Schritt zur Frage, ob den Tieren dann nicht auch dieselben Rechte zustehen sollten wie den Menschen. Valie Export und Peter Weibel forderten 1969 in Österreich, Tiere ins Parlament aufzunehmen, und Joseph Beuys gestaltete eine Wahlplakat hierfür nach Vorbild jener Plakate für Betriebsratswahlen: die Kandidaten mit Foto und Beschreibung in Reih und Glied, nur jetzt eben nicht Menschen, sondern Tiere.
Beuys ging auch noch weiter als die CoBrA-Künstler. Er sah im Tier nicht etwa Menschliches, er identifizierte sich mit dem Tier („Der Hase, das bin ich“). Und so verwundert es nicht, dass sich ab den 70er Jahren auf Bildern immer häufiger Menschen in Tiere verwandeln oder aus den Tieren herausblicken: Birgit Jürgenssen lässt aus einem Bärenkopf das Antlitz einer Frau hervortreten.
So erwiesen sich die Künstler stets als ihrer Zeit voraus, und sie scheinen heute die Frage zu stellen: Ist das Tier nicht vielleicht der bessere Mensch?
„we love animals. 400 Jahre Tier und Mensch in der Kunst“. Kunstmuseum Ravensburg bis 15.10.2017. Katalog 176 Seiten, 28 Euro
Lieber Herr Zerbst, als ich vorhin auf der Gass Eva Marie Blattner auf Unsicherheiten ansprach, die ich bezüglich meines Blogs art77blog.axel-von-criegern.de empfinde, empfahl sie mir Ihren Blog. Daraufhin habe ich das Archiv durchgeschaut und einige Beiträge gelesen. Die modische Floskel “ ein Traum!“ kann ich hier problemlos verwenden. Ich bin sehr, sehr beeindruckt. Mit dieser Frequenz hohe Qualität zu liefern… Ich habe eine große Bitte: da ich erst seit Herbst 2016 schreibe, fühle ich mich wie angedeutet, ziemlich unsicher. Ihr erfahrener Blick könnte mir sicher hilfreich sein. Die ersten Beiträge habe ich noch englisch geschrieben. Als daran Kritik von deutschen Kollegen geübt wurde, bin ich eingeschwenkt. Herzliche Grüße on Ihrem Axel von Criegern