In Albert Camus‘ Roman Die Pest sind sie die Vorboten der tödlichen Seuche – die Ratten, die bei uns ohnehin ein schlechtes Image haben. Ganz im Unterschied zur Eule, die als weise gilt, dem Hund, der manchen Inbegriff der Treue ist. Vielen Tieren schreiben wir Eigenschaften zu, die sich freilich von denen in anderen Kulturkreisen unterscheiden. Und wenn sich Künstler diesen Lebewesen widmen, sieht das Bild noch einmal anders aus, wie man derzeit im Museum Art.Plus in Donaueschingen nachvollziehen kann.
Friedemann Flöther, Einhorn, 2009/10. Foto: U. Schäfer-Zerbst
Man reibt sich unwillkürlich die Augen. Ausgerechnet das Einhorn, weiß wie die Unschuld, Inbegriff der Sanftheit, wirkt im Entree zum Museum Art.Plus wie ein wildes Pferd. Wütend hat es sein Horn in eine Säule gerammt – sich so selbst gefangen und der Möglichkeit beraubt, den Augen der Welt zu entfliehen, wie es dieses als ausgesprochen scheu geltende Tier angeblich so gern tut. Friedemann Flöther hat unser Einhorn-Bild auf den Kopf gestellt und dabei auch noch in der Beschriftung seines Werks Humor bewiesen. Lebensgroß sei es, als wüsste man, wie das Wesen, das sich hinter den sagenhaften Erzählungen verbirgt, überhaupt ausgesehen hat! Es könnte sich auch um einen Wal gehandelt haben.
Überlebensgroß dagegen hat Kenny Hunter eine Maus gestaltet, schließlich handelt es sich eigentlich um eine über zwei Meter hohe Skulptur vor dem Museum in Schottland, das dem Dichter Robert Burns gewidmet ist, der ein berühmtes Gedicht über dieses Tier geschrieben hat. In Donaueschingen kann man das Gedicht nachlesen – und die Maus bestaunen, wenn auch nur als Miniaturausgabe des Denkmals, aber immer noch eindeutig überlebensgroß.
Überlebensgroß sind auch die Ratten, die Claudia Weber auf Leinwand gemalt hat, und nicht nur das: Die in unseren Märchen als eklig veschrienen Tiere wirken hier ausgesprochen sympathisch, einfühlsam, fast menschlich, und somit kommen diese Porträts dem Bild, das man sich in Ostasien von den Ratten macht, sehr viel näher, denn dort gelten sie als intelligent und werden sogar als heilig verehrt.
Schon allein durch die Darstellung erhalten Tiere ein eigenes Image. Der Rabe gilt mit seinem schwarzen Gefieder und seinem alles andere als lieblich klingenden Krächzen nicht als Inbegriff der Ästhetik. So wie Kenny Hunter solche Raben arrangiert hat, wirken sie wie ein edles Wappen und erinnern an ein vierblättriges Kleeblatt – das Unheil verheißende Tier der Märchen als Glücksbringer!
Jinmo Kang, Krokodile, 2017. Foto: U. Schäfer-Zerbst
Wie unterschiedlich bereits die Materialien Tierkörper wirken lassen, zeigen die Tierpaare, die der Südkoreaner Jinmo Kang gestaltet. Fast lauernd beäugen sich da zwei Krokodile. Doch das aus Holz wirkt harmlos, fast niedlich, während das identisch aus Spiegelflächen gestaltete geradezu aggressiv anmutet. Ähnlich die beiden Panther. Ausgerechnet das aus luftigen dünnen Drähten gestaltete Tier wirkt ungleich bedrohlicher als das kompakte schwarze. Dabei muss der Betrachter sehr viel mehr Fantasie aufbringen, um in den Gebilden aus Drahtgeflecht und Spiegelsplittern Tierkörper erkennen zu können.
Wie wenig realistische Gestaltung notwendig ist, zeigt der Südafrikaner Wim Botha. Seine Gebilde aus Styropor, mit einigen Stangen im Raum installiert, erinnern an Vogelschwingen. Doch dieselben Gebilde auf Papier gezeichnet sind letztlich nichts als ätherisch wirkende abstrakte Zeichnungen. Erst die Fantasie macht aus solchen Formen tierähnliche Körper.
So mancher Künstler folgt aber auch dem verbreiteten Image. So stellt Davide Rivalta den Wolf nicht als Raubtier dar, sondern als fast scheues Tier, als einsamen Wolf, der er ja auch sprichwörtlich ist.
Dass unsere Gesellschaft den Tieren nicht unbedingt die Würde zuteil werden lässt, die sie ihrer natürlichen Art entsprechend eigentlich verdienen, zeigt jeder Zoo. So tierfreundlich die Geschöpfe dort auch behandelt werden mögen, artgerecht ist diese Haltung nicht. Das Nashorn, das Helmut Middendorf im Berliner Zoo erlebt hat, wirkt melancholisch, einsam, entfremdet. Es steht an einem Ort, an den es nicht gehört.
Gabriela Oberkofler, Paradise Reloaded, 2016. Foto: U. Schäfer-Zerbst
Dieses Schicksal teilen die Vögel, die sich einmal in den von Gabriela Oberkofler gebastelten Käfigen befunden haben, nicht mehr. Die Türchen der Käfige sind offen, die Vögel ausgeflogen – freilich nicht ins Paradies. In einer großen Installation mit dem Titel Paradise Reloaded macht Gabriela Oberkofler deutlich, dass es das Paradies längst nicht mehr gibt. Die Bäume sind kahl, die Lebewesen künstlich in dieses Ambiente versetzt, und von ihnen sind manchmal nur noch Teile übrig geblieben – der Rest ist Zerstörung.
Da bleibt nur noch der Ausweg in die Fantasiewelt der Mythen und Märchen. Eine ausrangierte Karosserie eines schnittigen Porsches hat Stefan Rohrer mit Blattgold veredelt. Mit Tieren schiene das Automobil nichts zu tun zu haben, würde Rohrer es nicht Helios nennen, nach dem Sonnengott der griechischen Mythologie, der in einem Wagen über das Firmament zieht – gezogen von vier Pferden. Die freilich sind im modernen Sportwagen in Form von Pferdestärken gefangen – so wie das Einhorn von Friedemann Flöther, doch das, so scheint es, hat sich ja durch Übermut selbst in diese Lage gebracht.
„Tierisch gut – Paradise Reloaded“, Museum Art.Plus, Donaueschingen, bis 10.3.2024