Theater oder Film oder alles auf einmal und noch vieles mehr? Das Schauspiel Stuttgart im Autokino Kornwestheim

Dass unter der Intendanz von Armin Petras am Schauspiel Stuttgart nicht nur reguläre Theaterstücke auf den Spielplan kommen, sondern besonders oft Romane, ist inzwischen Stuttgarter Theateralltag; auch Filme wurden schon für die Stuttgarter Bühne bearbeitet, und nicht immer erwiesen sich diese Kunstformen als bühnentauglich. Warum also nicht gleich in einem Kino Theater spielen, zumal Kinos früher ja auch „Filmtheater“ hießen. Doch was René Pollesch jetzt im Autokino Kornwestheim kreierte, war mehr als eine Adaption auf fremdem Terrain, es war eine theater-filmische Tour de force à la bonheur.

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                             Christian Schneeweiß, Manuel Hard, Abak Safaei-Rad. Foto: Conny Mirbach

Es beginnt wie ein Krimi in der Tradition des Film noir: ein Autorennen durch Großstadtviertel, als wäre es eine weitere Folge von „Straßen in San Francisco“. Ängstlich schauen die Insassen des Straßenkreuzers nach hinten, ob ihnen jemand folgt, die Musik braust auf in höchster Dramatik. Pollesch ist ein Regisseur, der mühelos das Medium Film beherrscht.

Das Thema dieses Films: der Film selbst; die Figuren: abgehalfterte Schauspieler, deren große Zeit längst vorbei ist, die der guten alten Tradition nachtrauern, als Schauspieler noch große Rollen zu spielen hatten und nicht sich selbst unter dem Vorwand größerer „Authentizität“. Und unvermittelt sind wir bereits in einem dritten Film, einem Film, in dem Pollesch gewissermaßen seine eigene theatralische Vergangenheit reflektiert, in der er nicht selten Schauspieler ohne Rollennamen auf die Bühne brachte, wo sie über Gott und die Welt, vor allem die kapitalistische, räsonierten. Was, so lässt er jetzt seine Schauspieler, allen voran Martin Wuttke, fragen, was soll da schon dabei herauskommen, denn „spielen“ heiße ja doch eben nicht, sich selbst zu produzieren, sondern genau das Gegenteil davon. Kein Wunder, dass er, der einstmals große Star, vor allem in Frauenrollen brilliert habe, was gebe es Faszinierenderes, als sich auf der Bühne ins andere Geschlecht zu verwandeln – und schon sind wir in einer Diskussion über geschlechtsspezifische Eigenarten und Eigenheiten, in einer Genderdebatte also, wie es neuerdings heißt.

Mit atemberaubendem Tempo gleitet Polleschs Stück durch die verschiedenen Genres, ohne dass sich Brüche auftäten: Alles wirkt wie aus einem Guss, das eine Thema ergibt zwanglos das nächste, so unterschiedlich es sich auch erweisen soll. Mal verfolgen wir, wie die Figuren ihre hochdramatisch ausgespielten Dialoge im Auto ausagieren, mal verlassen sie das Gefährt und reden engagiert an der Autotür weiter. Immer mehr entwickelt sich das Stück zu einer Diskussion über das Wesen des Films, vor allem die Bedeutung der „continuity“ – für die traditionellerweise das “continuity girl“ sorgt, sei es, indem es die Zigaretten bei den oft am Filmset ja unzählige Male wiederholten Takes immer auf dieselbe Länge zurechtschneidet, sei es, dass es dafür sorgt, dass der Schauspieler seine Tasse nicht versehentlich in einer der Szenen in der falschen Hand hält, denn dann käme statt der angestrebten Realitätsnähe allenfalls Surrealismus heraus. Polleschs Stück ist auch ein Lehrstück über die Verfertigung eines Spielfilms – und zugleich über die Frage, die vor allem Schauspieler täglich bewegt: Wer bin ich, was tue ich, lebe ich oder spiele ich nur.

Das alles wird von den fünf Schauspielern komödiantisch bis in die Details verkörpert, allen voran von Martin Wuttke, der inklusive seiner Versprecher in jeder Sekunde glauben machen kann, es fielen ihm in eben dieser Sekunde seine neuen Gedanken ein (oder sollten die Versprecher echt sein – man hört, ja man sieht zum Teil sogar die Souffleuse, doch auch das gehörte ja durchaus zum Thema dieses Stückes, in dem es unablässig um die Frage nach echt oder vorgegaukelt geht).

Doch was da auf der Leinwand flimmert, ist nicht (nur) ein grandioser Spielfilm, wie man ihn allabendlich im Kornwestheimer Autokino verfolgen kann, gemütlich hingelehnt in die bequemen Autosessel (wie auch an diesem „Theaterabend“). Die Autofahrt durch die Großstadtstraßen ist ein raffinierter Fake von zuvor aufgenommen Straßen und der Fahrt des Autos live über den Parkplatz des Kornwestheimer Autokinos, denn was Pollesch hier inszeniert, ist eben nicht Film, sondern Livetheater. Und auch das fließt in sein Stück ein: Die fünf Akteure im Auto sitzen natürlich im – Kornwestheimer Autokino, wie sie gleich zu Beginn mitteilen.pollesch2

Julischka Eichel, Christian Schneeweiß, Manuel Hard, Abak Safaei-Rad, Martin Wuttke. Foto: Conny Mirbach

Wer mit seinem Auto günstig nahe dem großen Wohnmobil parkt, kann mitverfolgen, wie hier der Film entsteht: Pollesch führt in jeder Sekunde einen Film auf der Leinwand vor und zugleich das „Making of“ – und das in visueller und akustischer Perfektion, wie sie größer nicht sein könnte.

Polleschs frühere Stücke krankten gelegentlich ein wenig an der allzu großen Theorielastigkeit. An Theorie mangelt es auch hier wahrlich nicht, doch mit traumwandlerischer Sicherheit lässt Pollesch daraus ein anregendes, amüsantes, spannendes und komödiantisches Theaterstück entstehen, das zugleich ein Film ist. Es ist philosophisch-soziologische Debatte, Krimi, Beziehungskiste und ein Schuss von Truffauts legendärem Film „Die Amerikanische Nacht“, der eine ähnlich subtile Mischung aus den unterschiedlichsten Realitätsebenen ist.

Polleschs Stück ist ein Meisterwerk. Am Ende begeistertes Hupen – die der Location adäquate Form des Beifalls.

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