Die Suche nach einer Interimsspielstätte für die dringend sanierungsbedürftige Oper Stuttgart gleicht inzwischen einem Schwabenstreich. Als Viktor Schoner zum neuen Intendanten gewählt wurde, ging man davon aus, dass er, der als Künstlerischer Betriebsdirektor an der Bayerischen Staatsoper auch große Erfahrungen im organisatorischen Bereich hat, die Oper in Stuttgart ins Übergangsdomizil führen, dort erfolgreich leiten und vielleicht sogar wieder ins Stammhaus zurückführen werde. Damals war unter anderem an den Umbau des ehemaligen Paketpostamts in Stuttgart gedacht, und so plante Schoner für seine erste Spielzeit gewissermaßen symbolisch den Umzug mit einer „Probeproduktion“. Inzwischen ist das Postamt vom Tisch und Schoner wird während seiner Vertragszeit wohl auch kaum die Oper in irgendeine andere Interimsstätte führen können, die Politik dürfte in der Planung derzeit auf dem Stand von vor einigen Jahre sein. Die „Probeinszenierung“ aber fand statt.
Schlagwort-Archive: Oper
Benjamin – Gion Antoni Derungs‘ Josephslegende bei der Jungen Oper Stuttgart
Sie zählt nicht zu den kürzesten Erzählungen in der Bibel, die Geschichte um den jungen Joseph, dessen Brüder auf ihn neidisch sind, weil der Vater ihn zum Liebling erkoren hat, und den sie nach Ägypten in die Sklaverei verkaufen und dem Vater als tot melden, aber auch sie nimmt nur rund ein Dutzend Seiten ein – im Unterschied zu Thomas Mann, der daraus ein Epos von weit über tausend Seiten machte. Als Oper in der Vertonung des Schweizers Gion Antoni Derungs dauert sie achtzig Minuten, anrührende Minuten, aber auch verstörende. Die Junge Oper, vor zwanzig Jahren an der Oper Stuttgart eingerichtet, um jungen Musikern erste professionelle Bühnenerfahrung zu ermöglichen, vor allem aber, um das Phänomen Oper einem jungen Publikum (dem Publikum der Zukunft) nahezubringen, hat die 2006 entstandene Oper nun in deutscher Erstaufführung auf die Bühne gebracht.
Liebe im Totalitarismus. Beethovens „Fidelio“ in der Inszenierung von Jossi Wieler und Sergio Morabito
Zehn Jahre lang mühte sich Ludwig van Beethoven mit seiner einzigen Oper ab. Erst hieß sie „Leonore“, dazu schrieb er drei Ouvertüren, schließlich entstand „Fidelio“ mit einer ganz neuen Ouvertüre. Es ist ein Loblied auf eheliche Treue, denn Leonore rettet, als Mann verkleidet, ihren Mann Florestan aus dem Willkürgefängnis des Gouverneurs Pizarro. Und auch Regisseure tun sich mit dem Werk schwer, nicht zuletzt wegen der langen Dialoge, die vielen als Inbegriff plumper Biederlichkeit gelten. Manche Dirigenten verzichten ganz darauf. Nicht so Jossi Wieler und Sergio Morabito in ihrer neuen Stuttgarter Inszenierung. Sie lassen sie ungekürzt.
Dirigenten hautnah
Man sieht von ihnen nur den Rücken, die ausdrucksstarken Bewegungen der Arme und Hände, gelegentlich ein Körperwiegen – der Dirigent im Konzert ist ein weitgehend anonymes Wesen, das sich über die Musik ausdrückt. Das Programmheft gibt meist lediglich einige dürre Fakten zur Karriere. So wird es auch im 1. Sinfoniekonzert des Staatsorchesters der Oper Stuttgart sein. Hartmut Haenchen dirigiert am 11. und 12. Oktober zwei Hauptwerke von Johannes Brahms – die 1. Sinfonie und das Violinkonzert mit Frank Peter Zimmermann. Die inzwischen allenthalben üblichen Einführungen werden Wissenswertes liefern, aber eben über die Musik.
Falstaff ernst genommen an der Stuttgarter Oper
Eigentlich war er schon müde, wollte sich längst von der Bühne zurückziehen – Giuseppe Verdi, schon Mitte 70 -, hätte ihn nicht sein Komponistenkollege Arrigo Boito bedrängt, der war nicht nur Komponist, sondern auch ein vorzüglicher Librettist und hatte wenige Jahre zuvor den alten Meister schon mit einem Operntext zu Shakespeares Othello aus der Reserve gelockt, jetzt gelang ihm ein Meisterwerk, er überredete Verdi dazu, eine Komödie zu komponieren, seine erste! Stoff: Die Figur Falstaff, die bei Shakespeare, dem erklärten Dichterliebling von Verdi, in zwei Stücken auftritt: „Heinrich IV.“ und – als Hauptrolle – in den „Lustigen Weibern von Windsor“. Das Resultat ist singulär. Verdi ging völlig von seinen gewohnten Kompositionstechniken ab, die Oper verzichtet auf Arien, sie ist durchkomponiert, als wäre es ein Sprechstück mit Musik – nicht leicht zu musizieren, nicht leicht zu spielen. An der Oper Stuttgart hat Andrea Moses 2013 das Werk auf die Bühne gebracht.