Spielerische Symbolwelten: Tom Sachs und seine USA

Es war eine Welle der Entgrenzungen, die Marcel Duchamp vor einem starken Jahrhundert auslöste, als er Gegenstände des Alltags zu Kunstobjekten erklärte. Von da an konnte alles als Material zu Kunstwerken dienen. Die Dadaisten schufen witzige bis skurrile Collagen aus Rechnungsbelegen und Streichholzschachteln. Daraus entwickelte sich eine regelrechte Kunstrichtung, die Bricolage, was soviel wie „Bastelei“ heißt, und einer der konsequentesten Vertreter ist der Amerikaner Tom Sachs, der seit den 90er Jahren in seinem Atelier Allied Cultural Prosthetics herstellt, Vereinigte Kulturprothesen. Das Schauwerk Sindelfingen zeigt einen Querschnitt durch sein fantasievolles Schaffen.

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Wer bastelt, spart Geld, das war schon dem siebenjährigen Tom Sachs klar. Da sein Vater das Geld für eine echte Nikon-Spiegelreflexkamera nicht hatte, bastelte er ihm eben eine. Noch etwas stümperhaft, später baute er noch eine Sony-Filmkamera, ein echter Sachs. Auf den ersten Blick meint man, eine richtige Kamera vor sich zu haben, und entdeckt dann doch sehr schnell, dass sie aus einfachsten Materialien gebastelt ist. Diesen Spagat – Eindruck eines perfekten Industrieprodukts und zugleich eindeutig Handarbeit – behielt er bei und perfektionierte ihn. Vor allem auch den Hang zu schlichten Baumaterialien. Für die beiden zehn Meter hohen Twin Towers des World Trade Center, die er eigens für das Sindelfinger Schauwerk bastelte, genügten ihm Leichtspanplatten, Wärmeleitkleber und Tinte.

Das alles wäre lediglich der Zeitvertreib eines Hobbybastlers, doch dahinter steckt eine ganze Philosophie. Dass er für seinen Vater nicht einfach eine Art Filmkamera baute, sondern eine Markenkamera, ist bedeutsam, denn der junge Tom Sachs war eigentlich gegen jeden Markenkonsum, überklebte die Logos auf seinem Fahrrad und seiner Kleidung und entwickelte eine Art Hassliebe zu den Marken. Gleich im Eingang zur Ausstellung begegnet der Besucher einer Guillotine mit dem Etikett Chanel, für Sachs Ausdruck der Macht, die die Marken auf die Konsumenten ausüben, und zugleich ein sarkastischer Kommentar, dass es offenbar reiche, die teuren Marken zu tragen, Kopf würde dabei nur stören.

Und Sachs fasst den Begriff der Marke sehr weit. Letztlich ist jeder große Begriff, der eine Rolle in der Gesellschaft spielt, eine Marke mit all den zwiespältigen Assoziationen, die einem in den Sinn kommen können. Die NASA beispielsweise ist für Sachs, wie er sagt, die „ultimative Modemarke, das Chanel der Wissenschaft“, und so widmete er ihr eine ganze Serie von Arbeiten. Zentral ist Sam’s Suit – also der Anzug von Uncle Sam, dem US-Amerikaner schlechthin – , ein Raumanzug, der reine Bastelarbeit ist, aber zugleich vollständig funktionsfähig, ein Charakteristikum von seinen Arbeiten vor allem der letzten beiden Jahrzehnte.

Das gilt besonders für sein umfangreiches Projekt zum Thema McDonald’s. Hier schuf er einen ganzen Themenpark. Zentral eine ältere mobile Bratstation mit allem, was dazu gehört: Senf und Ketchupflaschen, Zapfhähnen für Coke, Orangensaft und Sprite, Kühlschränken, Bratflächen und einer Rezeptanleitung in Handschrift auf die Schränke aufgetragen. Dazu ein typischer Abfallbehälter und Utensilien für die Putzkolonne.

Und Sachs erregte Aufsehen. 1994 sollte er für ein Kaufhaus ein Weihnachtsschaufenster gestalten und schuf seine ganz eigene Version des Stalls von Bethlehem. Das Resultat: kirchlicher Protest, das Kaufhaus entschuldigte sich in der New York Times.

Dabei fordern seine Arbeiten zur seriösen Reflexion heraus. Sein elektrischer Stuhl beispielsweise ist voll funktionsfähig, also tödlich, hat aber durch den Bastelcharakter auch etwas Spielzeughaftes an sich – und schon macht man sich Gedanken über Produkte der Spielzeugindustrie, die zwar Spielpistolen in die Hände von Kindern legt, aber eben doch Waffen. Zugleich konterkariert er aber diesen Eindruck des Verspielten, indem er dem Stuhl einen Monitor beigesellt, auf dem Ausschnitte aus Footballspielen laufen, als säße man auf diesem Stuhl wie im heimischen Fernsehsessel. 

Dass ein solcher Künstler, der eher mit den lauten Mitteln der PopArt spielt, sich ausgerechnet einem der stillsten Rituale der japanischen Kultur zuwandte, erstaunt. Für seine Version der Teezeremonie entwickelte Sachs seinen bisher größten Themenpark, ungleich größer als der für McDonald’s. Alles ist da: Der Eingang in den äußeren Garten, das Tor wie üblich aus Baumaterialien und Besenstielen. Im Garten selbst dann der traditionelle Teich mit den lebenden Koikarpfen. Dann eine Station zur Reinigung, bei der man sich Wasser über die Hände und in den Mund spülen kann, sowie eine funktionierende Toilette, die der einer Boeing 767 nachgebaut ist.

Es fehlt natürlich nicht der Bonsai – delikat miniaturistisch mit Ohrenwattestäbchen gebastelt – und das eigentliche Teehaus. Freilich hat ihn hier seine Bastellust ein wenig zu weit getrieben. Vieles ist eher reine Spielerei mit dem Vorbild. Mit seinem geschmiedeten Lobster stellt er seine handwerkliche Geschicklichkeit unter Beweis, doch bleibt dieser allzu sehr Selbstzweck. Ein Besuch des Parks lohnt dennoch, aber das kritische Reflexionspotential, das in seinen Arbeiten zu den USA steckt, fehlt hier.

Tom Sachs. Timeline“, Schauwerk Sindelfingen bis 2..8.2020

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