Ein goldfarbener, in der Fassade durchbrochener großer Würfel ziert den Eingang von Schwäbisch Gmünd seit der dortigen Landesgartenschau 2014, ein symbolischer Hinweis auf die Bedeutung, die das Gold- und Silberschmiedegewerbe hier hatten. Die Stadt profitiert heute noch davon: Das Städtische Museum geht unter anderem auf eine Initiative des Silberwarenfabrikanten Hermann Bauer zurück. Jetzt ist eine große Ausstellung dem edlen Metall gewidmet: Timeless Silver.
Kreuzreliquiar in Form eines Kalvarienbergs, Ulm, 1440/1450. Foto: U. Schäfer-Zerbst
Eines der prunkvollsten Werke der Ausstellung ist sicherlich das Kreuz-Reliquiar aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, nicht nur wegen der ausdrucksvollen Gestaltung der Physiognomien der Figuren, sondern auch durch die Vielfalt der eingesetzten Materialien und Techniken: Silber natürlich, zum Teil vergoldet, ebenso Kupfer, dazu Email, Edelstein. Dabei möglicherweise vom Materialwert her noch kostbarer ist die Monstranz Ende des 17. Jahrhunderts, nicht zuletzt wegen des üppigen Edelsteinbesatzes. Kein Wunder, schließlich sollte sie das Heiligste der Kirche präsentieren, den Leib Christi.
Wie kunstvoll das Reliquiar gestaltet ist, zeigen Details, die man am besten in der grandiosen Fotowiedergabe des Katalogs studiert. Es sind sechzehn vergoldete Silberplättchen mit gar nicht so heiligen Bildmotiven. Zu sehen etwa Affen, die sich wie edle Ritter zu Pferd im Wettkampf befinden. Die Technik dieser Bilder: reines Punzieren, kleine Pünktchen, die in das Metall getrieben wurden.
Sakrales und Weltliches – beides war in Silber möglich und wurde auch in Silber hergestellt. Eine Vitrine zum Beispiel zeigt eine silberne Garnitur für Essig und Öl bei Tisch, daneben eine weitere Monstranz: irdisches Leben und religiöse Welt vereint durch das edle Material – und in diesem Fall durch denselben Künstler. Stammen die beiden eingangs erwähnten Werke vermutlich aus Ulm bzw. Augsburg, so stammt diese Monstranz aus einer Schwäbisch Gmünder Werkstatt und zeigt, wie großartig die Kunst des Silberschmiedens hier beherrscht wurde.
Die Kunstwerke zeigen auch, wie sehr man sich bemühte, das an sich bereits edle Silber noch zu veredeln oder aber durch raffinierten Materialmix zu verfeinern, wie das ein Tafelaufsatz von 1890 demonstriert, der mit einem Triton und einer Meeresnymphe geschmückt ist. Neben vergoldetem Silber finden sich hier Korallen und galvanisierte, also mit einer dünnen Metallhaut überzogene Pflanzenteile.
Dabei hat das an sich ja schon edle Material eine solche Ergänzung gar nicht nötig. Eine Bowlenschale aus derselben Zeit zeigt, wie subtil Schmiedekünstler mit dem Phänomen Glanz und Schatten umgehen konnten, wie eine spiegelnde Schalenoberfläche den Raum vage einfängt und fast farbig wirken kann und durch matte Teile plastisch in den Raum ragt.
Auch hat Silber, gerade weil es durch unterschiedliche Oberflächenbehandlung die verschiedenartigsten Wirkungen erzielen kann, allzu viel Ornamentik gar nicht nötig, wie fünf Kaffeekannen aus drei Jahrhunderten deutlich machen, wobei die älteste von 1713 fast so zeitlos wirkt wie die von 1960.
Aber natürlich hat die Schmiedekünstler bei dem an sich kühl vornehm glänzenden Silber das Spiel mit Farben gereizt. Wie subtil dabei der Goldton eingesetzt werden kann, zeigt ein Pokal in Form einer Tulpenblüte, bei dem vor allem mit dem Gegensatz von Glanz und Matt gearbeitet wurde. Und dass man die Oberfläche eines Bechers allein durch das punktierende Punzieren zu vollster Wirkung bringen kann, zeigt ein Beispiel von 1630. Daneben ein Becher von 2015, dessen Oberfläche ebenfalls in erster Linie durch Punzieren hergestellt wurde, danach aber noch poliert wurde, sodass die kleinen punktartigen Vertiefungen kaum mehr sichtbar sind.
Silber braucht nicht unbedingt die Kombination mit verschiedenen anderen Materialien. So schuf ein Silberschmied in Schwäbisch Gmünd Mitte des 18. Jahrhunderts einzig aus dünnen Silberdrähten filigrane, geradezu ätherisch wirkende Gebilde wie ein Kreuz und zwei Kerzenleuchter. Wie filigran diese Arbeit ist, zeigt abermals die grandiose Fotowiedergabe im Katalog.
Wie übrigens auch eine Schale, für die ausschließlich ein Silberblech und ein entsprechender Hammer nötig waren sowie das Geschick von gleich mehreren Silberschmieden – hergestellt vor Publikum im Jahr 2014. Das Design: ganz schlicht und dennoch wirkungsvoll, etwas, das Schmiedekünstler in den letzten Jahrzehnten immer häufiger als Reiz dieses Materials erkannt haben. So entstand vor rund hundert Jahren eine Henkelvase, die noch heute einen Designwettbewerb gewinnen würde.
Rosemarie Seidel, Dose, 1975. Foto: Horst Simschek
1975 hat die Silberschmiedin Rosemarie Seidel eine Dose geschaffen, die formal lediglich ein schlanker hoher Zylinder ist. In die Silberoberfläche hat sie gräulich wirkende Halbmonde aus Email eingefügt, die leicht farbig sind, aber nur so dezent, dass sie mal grau wirken, mal einen Hauch von Farbe aufweisen. Eine Mokkatasse von 1889 wirkt lediglich durch die wellige Oberfläche – allerdings auch durch die Tatsache, dass die Innenseite vergoldet ist, wie auch der daneben stehende Sektkelch, dessen Eleganz eindeutig jugendstilgeprägt ist.
Fast noch weniger formale Eingriffe in das Material zeigt ein Raum, in dem der Übergang von der alten Silberschmiedekunst in die Kunstwelt von heute gezeigt wird.
Dong-hyun Kim, Kanne ›Watering X‹, 2022. Foto: Horst Simschek
Eine Kanne mit zwei Ausgüssen greift gewissermaßen die Wellenoberfläche der erwähnten Mokkatasse auf, wirkt aber nicht mehr wie ein Nutzobjekt, sondern wie eine abstrakte Plastik. Und Claudia Wieser hat sich lediglich das Phänomen der spiegelnden Oberfläche vom Phänomen Silber ausgeborgt, eine Art durchbrochene Spiegelwand geschaffen, in der sich jetzt eine Metallplastik in Fragmenten spiegelt, eine Marienstatue von 1755 – natürlich eine aus Silber mit allem, was die Schmiedekunst zu bieten hat: Vergoldung, Glas, Perlmutt und Email: Da begegnen sich 18. und 20. Jahrhundert und verbinden sich zu einer Einheit.
„Timeless Silver“, Museum im Prediger bis 10.4.2023. Katalog 199 Seiten, 39 Euro