„Schlachtet den Vater“ rief 1969 HAP Grieshaber auf und ließ in einer legendären Aktion im Stuttgarter Kunstgebäude vier seiner großformatigen Kohlezeichnungen von Walther Stöhrer, einem seiner Schüler an der Karlsruher Kunstakademie, übermalen. Ein Motiv zu dieser Aufforderung war sein pädagogisches Ziel, nicht Epigonen seiner Kunst heranzuziehen, sondern in seinen Schülern deren Kreativität zu fördern. Dieses Ziel verfolgte auch Ralph Fleck, von 2003 bis 2014 Professor an der Nürnberger Kunstakademie. Dass dabei trotz unterschiedlicher Künstlerpersönlichkeiten doch so etwas wie eine künstlerische Kameradschaft entstand, zeigt jetzt eine Ausstellung in der Galerie Schlichtenmaier in Dätzingen.
Betrachtet man Ralph Flecks Gemälde aus der Nähe, wie er sie beim Malen vor sich hatte, sieht man lediglich dicke, abstrakte Farbmuster, z.B. blaue und grüne Flecken. Man spürt dabei geradezu die Lust am Umgang mit Pinsel und Farbe. Und diese Lust scheint auch Jan Gemeinhardt anzutreiben, der 2012 Flecks Meisterschüler wurde. Und wie bei Fleck ergeben sich auf der Leinwand bei Gemeinhardt aus den Farbtupfern beim Betrachter gegenständliche Assoziationen – im Fall von Ralph Fleck Kornblumen in einem Feld, auf anderen Bildern sind es Baumkronen oder große Wasserwellen im Meer, bei Gemeinhardt bildet sich aus den weißlich-blauen Farbtupfern sein Bild Gischt.
Jeder der in dieser Ausstellung versammelten Meisterschüler hat seine ganz eigene Kunstsprache entwickelt, doch diese Lust am Umgang mit der Farbe, am Malerischen, auch an der Textur der Farbe, der Materialität, scheint allen gemeinsam. Christian Hiegle trägt die Farbe nicht in Tupfen auf, sondern in breiten Streifen, auch er bleibt wie Fleck auf seinen Bildern oft jeweils einer Farbpalette treu, aus der sich dann gegenständliche Assoziationen wie Tassen oder Kannen ergeben. Doch auch hier ist der Malakt stets präsent. Denn auch das scheint die Schülerinnen und Schüler an ihrem Lehrer fasziniert zu haben: die Synthese aus abstraktem Farbauftrag und gegenständlicher Assoziation. Bei Anna Bittersohl kann es eine Wand sein, häufiger aber sind es gedankliche Reminiszenzen an Situationen wie der Tag an dem es Abend wurde. Und auch bei ihr spielt die Farbe bei solchen Gedankenspielen eine wichtige Rolle; we are watering the ground with our thoughts heißt eine in Blautönen gehaltene Komposition. Dabei ergeben sich bei ihr die Gegenpole von Gegenständlichkeit und Abstraktion während des Malprozesses: Sie geht von fast realistischen Vorzeichnungen aus, die sie dann vehement übermalt, wobei sie wiederum Neues entdeckt.
Ein ähnliches Vorgehen meint man bei den Kopfbildern von Jochen Pankrath zu erkennen. Mit plakativ und – im Unterschied zu Flecks Malweise – flächig aufgetragener blauer Farbe deuten sie eine Kopfform an, die darunterliegende Farbschichten überdeckt. Diese Farbschichten waren ursprünglich einmal rein abstrakt, ehe danach Porträtelemente wie Auge oder Ohr hinzugefügt wurden. Und schon im Titel macht Pankrath die Dichotomie der fleckschen Malerei deutlich, die zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion changiert: Abstrakte Porträts. Diese Synthese von Gegensätzlichkeiten findet sich auch bei Annette Marketsmüller. Ihr Motiv – in diesem Fall Blüten – scheint sich aus lauter Farbflecken zusammenzusetzen, und doch ist dieses Bild fast fotorealistisch, denn es ahmt täuschend eine Stickerei nach.
Rein abstrakt dagegen scheinen die Kompositionen von Nazzarena Poli-Maramotti zu sein, aber selbst hier entdeckt die Malerin Assoziationen an ihre Lebenswelt wie etwa einen Himmel. Dagegen sind die Bilder von Anna Maria Schönrock auf den ersten Blick völlig abstrakt, setzen sich jedoch aus lauter extrem flächig, fast transparent gemalten Laubblättern zusammen – Abstraktion und realistische Wiedergabe von Naturobjekten aus nächster Nähe.
Und das ist das dritte Charakteristikum, das diese jungen Künstler offenbar an ihrem Lehrer gereizt hat. Denn die Bilder von Ralph Fleck sind nicht nur geprägt vom intensiven und vehementen Umgang mit der Farbe und der Synthese von Gegenständlichkeit und Abstraktion, sie arbeiten auch mit den Polen Nähe und Ferne und bringen damit den Betrachter mit ins Spiel. Denn aus der Nähe betrachtet, aus der Entfernung, die Ralph Fleck beim Malen vor der Leinwand einnahm, wirken seine Bilder rein abstrakt, wird der Blick ausschließlich auf den Malprozess gerichtet; aus einiger Entfernung ergeben sich die dann fast realistisch wirkenden Motive. Und dieses Spiel mit der Entfernung des betrachtenden Auges findet sich bei so manchen von Flecks Schülerinnen und Schülern auf ganze eigene Weise. So ist der Baum im Hintergrund von Chang Min Lees surreal anmutender Seeszene mit einem aufblasbaren Schwan und Pinguinen eindeutig als Trauerweide zu identifizieren. Doch besteht er bei genauerem Hinsehen aus lauter nach unten fließenden Farbschlieren – wie auch das realistisch wirkende Bild eines Mannes von Eun Hui Lee, der Ölfässer auf einem Wagen hinter sich herzieht. Die Farbfunken unter dem Wagen sind rein abstrakte Farbschlieren. Und auch bei Philipp Kummer ahnt man den Hund, auf den der Bildtitel anspielt, nur aus einiger Entfernung.
So erweist sich die Meisterklasse von Ralph Fleck an der Nürnberger Kunstakademie als Quell höchst unterschiedlicher, sehr individueller Künstlerpersönlichkeiten und -stile, und doch hat man den Eindruck, diese jungen Künstler wussten sehr wohl, warum sie Fleck als inspirierenden Lehrer wählten. Bei aller Unterschiedlichkeit zeigt sich doch eine Gruppe von Künstlern mit einer bildnerischen Seelenverwandtschaft.
„Ralph Fleck trifft ehemalige SchülerInnen“, Galerie Schlichtenmaier, Schloss Dätzingen bis 3.9.2022