Um Tod, Wahnsinn und Gewalt geht es in dem 1973 erschienenen Album The Dark Side of the Moon von Pink Floyd. Der erste Titel darauf wird von Herzschlägen begleitet, so etwas könnte auch in einer Geschichte von Edgar Allan Poe stehen. Um die Macht halluzinogener Pilze geht es in Martin Suters Roman Die dunkle Seite des Mondes, eine wörtliche Übersetzung des Pink-Floyd-Albums, doch bezog sich Suter möglicherweise auch auf eine Bemerkung von Mark Twain, der meinte, jeder Mensch sei ein Mond und habe eine dunkle Seite, die er niemandem zeige. Wer da an die düstere Geschichte von Dr. Jekyll und Mr. Hyde denkt, liegt nicht falsch. Das Kunstmuseum Albstadt zeigt nun, was bildenden Künstlern zu dieser dunklen Seite eingefallen ist.
Wilhelm Laage, Der Dorfbrand, 1898
Eigentlich hat Wilhelm Laage 1898 lediglich eine Kindheitserinnerung in Holz geschnitten, allerdings eine, die ein Kind traumatisieren kann: Ein Dorfbrand, dessen lodernde Hitzeflammen allein schon erschreckend sind, danach die schwarz und kahl in die Luft ragenden Überbleibsel eines Fachwerkhauses, Denkmal des Todes. Auf Laages Blatt wirbeln die Rauchschwaden gewalttätig in der Luft, aus ihnen erhebt sich ein vor Verzweiflung schreiendes Gesicht – Reaktion der Menschen oder vielleicht auch Verkörperung des flammenden Infernos. Düsterer kann man die Nacht kaum mehr darstellen.
Unverkennbar ist, wer für diese Gestaltung Pate gestanden hat: Edvard Munch, der mit seinem Gemälde Der Schrei wenige Jahr zuvor das Urbild des Entsetzens geschaffen hat. Ihm begegnet man als Ahnvater der Inspiration denn auch immer wieder in dieser Ausstellung. Emil Rudolph Weiss hat bei seiner Bildinterpretation eines Novembergedichts von Émile Verhaeren Munchs im Kuss eng umschlungenes Liebespaar aufgegriffen, aber in die Horizontale verlegt, was die erotische Anspielung noch verstärken könnte, wäre da nicht der Novembersturm, der wie ein wildes, vom Jugendstil beeinflusstes Linienunwetter über das Paar hinwegfegt.
Womit wir bei einer weiteren Inspirationsquelle für solche Nachtbilder wären, der Literatur, vor allem der, die Mario Praz für das 19. Jahrhundert als Schwarze Romantik definiert hat. So darf natürlich der Meister des Todesgedankens, ja des Todesmythos nicht fehlen. Edgar Allan Poe, dessen lebensbedrohlichen MaelstrØm Traude Teodorescu-Klein mit einem schlichten, aber weil in schwarzen Linien gehaltenen unaufhaltsam den Blick des Betrachters in die Tiefe ziehenden Wirbel nachgestaltet hat.
Natürlich fehlt auch Kafka nicht. Hans Körnig hat einzelne Szenen aus Kafkas Prozess zu einem Aquatintazyklus zusammengefasst und dabei bildnerisch genau das getan, was Kafkas Prosa auszeichnet: Er hat grausige Szenen wie die des Prüglers als scheinbar ganz normale Angelegenheit dargestellt, als müsse man sich nicht weiter darüber wundern oder gar entsetzen. Dasselbe Gestaltungsprinzip findet sich bei Rolf Escher, nur wirkt es bei ihm noch gruseliger, weil er auf den ersten Blick ganz normale Dinge darstellt (abgesehen davon, dass auch er einen Kafka-Zyklus gestaltet hat, nach dessen Erzählung Die Verwandlung).
Escher reichen leere Räume, ein Treppenflur beispielsweise, der sich gespenstisch leer nach oben hinzieht, oder ein Prüfungszimmer, dessen leere Stühle die Vorstellung anregen, die sich angesichts der vorherrschenden fahlen Grautöne die furchtbarsten Dinge ausmalt, gerade weil die Graphik selbst eine „Leerstelle“ ist, die auszufüllen geradezu herausfordert.
Das Gegenteil zu einer solchen inhaltlich zurückhaltenden Darstellung ist die Apokalypse in der Bibel. Sie malt den Schrecken gegen Ende der Welt plastisch aus. Peter Grau hat dafür Bilder gefunden, die durch die Vielzahl der Details Beklemmung hervorrufen. Seine Würgeengel beispielsweise wirbeln mit kraftvollen Schwingen bedrohlich einander umkreisend durch die Luft – und erinnern vage an einen zweiten Meister der Nachtseiten der menschlichen Existenz neben Munch: Francisco de Goya. Graus Zyklus ist meisterhaft in jedem einzelnen Strich von einem der größten Graphiker zumindest der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts graphisch gestaltet.
Karl Rössing, Farfalla, 1968
Ganz anders ging Karl Rössing vor. Er gestaltete Linoldrucke, bei denen er weniger in seine Linolplatten schnitt, sondern sie vielmehr als Mittel zu Monotypien benutzte und so in zahlreichen Druckschritten vielschichtige Gebilde schuf, die gerade durch die übereinander gelagerten transparenten Farbschichten Beklemmung hervorrufen. Hier ist die Gestaltungstechnik Quelle der sich im Betrachter einstellenden Beklemmung.
Aber die benötigt keineswegs inhaltliche Motive. Michael Morgner lässt aus einer tiefschwarzen unteren Bildhälfte ein abstraktes, gleichwohl die figürliche Fantasie anregendes Gebilde aufsteigen, das in dicken schwarze Blutgefäßen auszulaufen scheint. Darin kann man eine Figur sehen, man kann sich aber auch nur dem schwarzen Moloch ergeben und genau das empfinden, was der Titel besagt: Angst – die dunkle Seite des Mondes schlechthin.
„Die dunkle Seite des Mondes. Schattenbilder aus Kunst und Literatur“, Kunstmuseum Albstadt bis 16.2.2020. Katalog 72 Seiten, 15 Euro