Trompe-l’oeil heißt auf deutsch Augentäuschung. In der Malerei dient sie dazu, durch eine extrem realistische Darstellung dem Auge die wahre Realität vorzugaukeln. In der Antike soll der Maler Zeuxis dadurch Vögel dazu verführt haben, an den von ihm gemalten Trauben zu picken, als seien es echte Früchte. Ein Meister dieser Malerei ist der Reutlinger Eckart Hahn, der allerdings damit nicht Realität vortäuschen, sondern ganz neue Realitäten schaffen will, wie eine Ausstellung mit neuen Werken in der Stuttgarter Galerie Schlichtenmaier zeigt.
Red Rope, 2021 © Eckart Hahn
Die eine hat ihn gesponnen, den Lebensfaden der Menschen, die zweite bestimmt, wie lang er ist, die dritte schneidet ihn ab, so heißt es in der antiken Mythologie von den Parzen. An sie kann man bei diesem Bild von Eckart Hahn denken, denn der eine Vogel betrachtet gewissermaßen sein Werk, der zweite rätselt über die Länge, der dritte macht deutlich, dass es mit dem Leben nicht mehr lange hin ist. Man muss bei Eckart Hahn nicht in solchen Dimensionen denken, aber der Titel der Ausstellung legt das nahe. Shimenawa ist im Shintoismus ein Tau aus Stroh, das das Diesseits der Menschen vom Jenseits der Götter trennt, und das Tau ist seit einiger Zeit das Hauptmotiv dieses Reutlinger Malers, und so regen auch die Titel seiner Bilder zum Nachdenken in tieferen Dimensionen an: Big Wheel, Identity, Ra, jene ägyptische Gottheit, deren Symbol eine Schlange um das Haupt ist und die den Kopf einer Katze trägt. Doch bei Hahn ist alles etwas anders. Er spielt mit solchen Bezügen. Sein Ra trägt einen Adlerkopf mit der obligaten Schlange, die Katze aber sitzt ihm gegenüber, und zwischen beiden scheint ein stummer Dialog im Gang zu sein.
Das Seil in seinen Bildern ist mehr als nur verbindendes Element, es ist gewissermaßen das Maß aller Dinge, die Seele allen Seins. So gestaltet er den Hanuman, einen Affengott aus dem Hinduismus, ganz aus diesem Material, desgleichen den Häuptling, und doch vergisst man bei aller Exaktheit der Seildarstellung sehr schnell das banale Objekt und sieht eben in der Seilkonstruktion ein perfektes Bild des Affengottes oder des an einen Totempfahl erinnernden Häuptlings.
The Buzz, 2021 © Eckart Hahn
Das Seil ist bei diesen Bildern das Wesen aller Existenz, eben auch der Lebensfaden, besonders deutlich bei seinem Chamäleon, das buchstäblich aus einem Seil gewachsen zu sein scheint, einer Art Nabelschnur, auch das ironisch, denn ein Chamäleon hängt nie an einer solchen, sondern schlüpft aus einem Ei, das im Boden abgelegt wurde.
Diesem Wesen der Dinge nähert sich Hahn durch den Kunstgriff eines schlichten Seils auf raffinierte Weise an, um sich dem nicht selten auch wieder zu entziehen. Identity nennt er ein Bild, in dem das Seil in allen Regenbogenfarben schillert – eine Anspielung an die Genderfrage von Lesben, Schwulen und Bisexuellen. Doch so wie das Seil hier zu einer Art Kopf geschlungen ist, lässt eher an Vermummung denken denn an die Offenbarung eines eigentlichen Wesens, einer Identität.
Ähnliches findet sich auch beim Blue Man. Der Torso gemahnt an den Gekreuzigten, in dessen von der Lanze des Söldners gestochene Wunde der Apostel Thomas den Finger legt, jener Thomas, der mit dem Beinamen der Ungläubige in die Bibelgeschichte eingegangen ist, und es ist faszinierend, wie Hahn in der Gestaltung des Fingers das skeptische Zögern des Apostels zum Ausdruck bringt. Aber ist dessen Skepsis nicht durchaus berechtigt? An der Stelle, an der sich die Wunde befinden müsste, ist nichts zu sehen, lediglich ein schwarzes Loch.
Thimble, 2021 © Eckart Hahn
Eine Wunde dagegen, ersichtlich am Blut, das das gelbe Seil tränkt, findet sich ausgerechnet beim Fingerhut, der ja verhindern soll, dass Blut fließt. Hahns Bilder sind Gratwanderungen zwischen Möglichkeiten. Auf der einen Seite verblüffen sie durch die extreme Trompe-l’oeil-Perfektion der Darstellung. Man möchte am liebsten das Seil von der Leinwand abnehmen, so echt wirkt es. Jede Faser ist perfekt gestaltet. Doch das, was mit dieser Faser dargestellt ist, übersteigt die Grenzen des Möglichen. So malte er perfekt das Foto einer Katze; das Foto ist an der oberen linken Ecke scheinbar eingerissen. Auf dem Foto liegt ein Seil, eindeutig dreidimensional gestaltet, doch aus dem Foto heraus ergreift die Katze das reale Seil, sie greift aus der virtuellen Welt des zweidimensionalen Fotos in die dreidimensional gemalte des Seils.
Das ist nicht Surrealismus, das ist eher magischer Realismus und erinnert an René Magritte, in dessen Bildern ja auch alles anders ist, als man es vermutet. Dreamer heißt ein Bild von Hahn; es zeigt einen Pinguin, der zwar zu den Vögeln gehört, aber nicht fliegen kann. Hier fliegt er, ein wenig an einen Zeppelin gemahnend und damit an den Traum des Menschen, fliegen zu können, was eben nur mit Maschinen funktioniert wie dem Zeppelin. Doch wie hat sich das gelbe Seil durch Füße und Gefieder des Tieres gewunden, warum wirft der Pinguin am Boden Schatten, das Seil aber nicht, und woher kommt der eckige Schatten, der das Bild in zwei Hälften teilt? Eckart Hahns Bilder arbeiten mit Versatzstücken unserer Realität und entwerfen zugleich Bilder, die mit den Gesetzen dieser Realität nichts zu tun haben. Insofern sind sie ganz im Sinne eines René Magritte reine Malerei, obwohl sie die reale Welt abzubilden scheinen, denn diese Bildwelten folgen unrealistischen Gesetzmäßigkeiten. Hahn führt vor, dass es Welten geben kann, die nur in der Malerei möglich sind wie jener perfekte rote Ring aus einem Seil, das in der Realität so unmöglich geflochten sein könnte ohne Anfang und Ende.
„Shimenawa – Eckart Hahn“, Galerie Schlichtenmaier, Stuttgart bis 27.11.2021