Raum oder/und Bild: Erweiterte Malerei im Kunstmuseum Stuttgart

Viel Revolutionäres hat sich im 20. Jahrhundert in der Welt der Kunst ereignet – die Abstraktion hat die Realitätswiedergabe abgelöst, das Material wurde in seinem Eigenwert erkannt, vor allem aber ist das traditionelle Bild in die Krise geraten. Schon Malewitsch hatte möglicherweise mit seinem „Schwarzen Quadrat“ das letztmögliche Bild gemalt, zur selben Zeit trat Marcel Duchamp aus der Welt des Bildes heraus in die des Alltags und der Objekte. Lucio Fontana verletzte die Bildfläche, indem er sie aufschlitzte, machte so den Raum hinter dem Bild ebenso sichtbar und relevant wie das Bild selbst. „Ausstieg aus dem Bild“ nannte das der ungarische Kunstphilosoph Laszlo Glozer, „erweiterte Malerei“ stellte nun das Kunstmuseum Stuttgart zur Aufgabe für den diesjährigen Sparda-Kunstpreis Kubus.

 

Corinne Wasmuht scheint auf den ersten Blick diese ganze Kunstdebatte nicht zu interessieren. Sie malt Bilder, zweidimensional, flächig, und greift auf die alten Bildtraditionen zurück: Sie malt auf Holz und in altehrwürdiger Lasurtechnik. Die Basis für ihre Bilder aber ist nicht die Fantasie, sondern die Realität der Welt, die sie zunächst auf Fotos festhält. Es sind Fotos von Zwischenwelten: Wartesälen, Korridoren, Flughafenhallen, von Menschen mal in Wartestellung, mal in flüchtiger Bewegung. Genau dieses Changieren zwischen Statik und Hektik, zwischen ruhendem Sein und nervösem Vergehen gestaltet sie auf ihren riesigen Bildern.

Das Format ist wichtig, denn es verhindert, dass man das Geschehen auf diesen Bildern mit einem Blick erfassen kann. Man fühlt sich unversehens in die Räume hineinversetzt, die sie auf ihren Bildern gestaltet, und doch ist gerade das unmöglich, denn auch wenn diese Bildräume Fotos zur Grundlage haben, so geben sie doch nicht eine reale Welt wieder. Am Computer collagiert Corinne Wasmuht mehrere solcher Raumbilder, in einem Fall hat sie zwei Flughäfen so miteinander verschränkt, dass der eine Raum auf dem Kopf in den anderen hineinragt: Menschen stehen aufrecht, andere scheinen vom Himmel zu fallen. Die Welt der Realität mutiert zu einer Sphäre der Irrealität.

Mit zahlreichen Lasuren wird diese Welt zudem immer mehr verwischt, ausgelöscht. Mal scheinen in solchen Bildern die Räume zu implodieren, es bleiben lediglich spitze, helle Raumsplitter, mal scheinen die Räume von riesigen Fenstern regelrecht aufgesogen zu werden. Corinne Wasmuht holt die Realität in ihre Bilder hinein, lässt sie dort zu reiner Malerei werden und zu einem Kunstprodukt mutieren.

 

Ganz anders Myriam Holme. Sie geht gewissermaßen den umgekehrten Weg. Bei ihr ragen die Bilder in den realen Raum hinein. An der Wand hängen Aluminiumplatten; gestaucht, gebogen sind sie zu einer unregelmäßig gewölbten Malfläche geworden und biegen sich immer wieder in den Raum oder schlängeln sich auf dem Boden von der Wand weg. Die grünen, scheinbar zufällig auf das Metall gelangten Pinselstriche finden ihr Pendant dann im Raum auf dem Boden verteilt in unregelmäßigen grünen Glasbrocken, die wie Findlinge in diese Kunstwelt gelangt sind. Zum Raum wird hier die Malerei. Und zur „Malerei“ gehört auch die Tätigkeit der Künstlerin, die ihre Aluminiumbleche mit der Hand formt, ehe sie sie bemalt und zur Raumskulptur werden lässt. Das gilt auch für kleinformatige Bilder, die zunächst aussehen, als hätten sie mit „erweiterter Malerei“ nichts zu tun. Zugegeben: das Malmaterial ist unkonventionell; in zahlreichen Schichten trägt Myriam Holme mit Farbe vermischte Seifenlauge auf. Nach dem Trocknen drückt sie mit dem Daumen hinein, die Farbmasse platzt auf, es ergeben sich Oberflächen, die wie getrocknete Lava aussehen, mal wie ein filigranes Spinnennetz aus feinsten blauen Linien wirken. Künstlerische Aktivität wird zur Malerei, Malerei wird zum Raum.

Leni Hoffmann schließlich kümmert sich um Malerei im traditionellen Sinn nicht. Für sie stellt sich nicht die Frage, was Malerei ist, sondern wo. Will man den von ihr gestalteten Raum im Kunstmuseum Stuttgart betreten, scheut man zunächst unwillkürlich zurück,denn vor den Füßen des Besuchers breitet sich ein aus drei ovalen riesigen farbigen Flächen bestehendes Bild aus: Magentarot, Blau, Gelb. Aus diesen drei Grundfarben lassen sich alle übrigen mischen. So stellt Leni Hoffmann an den Beginn ihres Ausstellungserlebnisses das Grundelement der Malerei schlechthin – aber nicht aus Farbpigmenten, sondern aus Knete, plastischem Material also, und weil der Besucher nicht umhin kann, diese Farbflächen zu betreten, die leicht unter dem Schritt nachgeben, schreibt er sich in dieses „Bild“ der Künstlerin ein. Am Ende der Ausstellungsdauer werden diese Farbflächen von (so hofft das Museum jedenfalls) vielen tausend Füßen neu gestaltet worden sein. Ergänzt wird diese so schlicht wirkende und doch einfallsreiche „Kunstphilosophie“ durch Installationen: Ein aus großen weißen Quadern gebildetes Mäuerchen, eine „Raumzeichnung“ aus Gittern. Doch das zentrale Werk ist die Raum gewordene Dreifarbentheorie.

Die Welt eingegangen ins Bild zum einen, das Raum werdende Bild zum zweiten und der Raum als Bild zum dritten. Eine Jury wird entscheiden, was am besten einer erweiterten Malerei entspricht; das Publikum darf sein eigenes Urteil fällen, das am Ende der Ausstellung mit 5.000 Euro prämiert wird.

Kubus. Sparda-Kunstpreis im Kunstmuseum Stuttgart. Leni Hoffmann, Myriam Holme, Corinne Wasmuht“. Kunstmuseum Stuttgart bis 18.6.2017

 

Der Preis ging an Myriam Holme

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