Rasante Farce mit Tiefgang: Rossinis Cenerentola an der Staatsoper Stuttgart

Rucke di guh, Blut ist im Schuh, dieser Satz kommt in Erinnerung, wenn es um das Märchen vom Aschenputtel geht, jenem Mädchen, das von der Stiefmutter als Dienerin gehalten wird, derweil sich die Stiefschwestern den heiratswilligen Prinzen angeln sollen. Er will seine Auserwählte – eben jenes Aschenputtel, das durch Zauberhilfe in prächtigstem Kleid auf den fürstlichen Ball gelangt – an einem ihrer Schuhe erkennen, und die Schwestern hacken sich eine Zeh ab, damit ihr Fuß in den Schuh passt. Dergleichen gibt es in der Oper, die Gioachino Rossini 1817 komponierte, nicht. Bei ihm geht es rationaler zu. Für die Staatsoper Stuttgart hat Andrea Moses inszeniert.

Enzo Capuano (Don Magnifico), Mitglieder des Staatsopernchors Stuttgart. Foto: A.T. Schaefer

Während der Ouvertüre nehmen Herren in grauen Anzügen an einem runden Konferenztisch Platz. Sie erklären dem Prinzen Ramiro – per Gesten und eingeblendeten Texten -, er habe gefälligst sofort zu heiraten, damit die Erblinie gesichert sei. Der Prinz willigt schließlich ein, seinen Diener als Prinzen vorauszuschicken, er selbst wolle als Diener verkleidet das Terrain sondieren. Das ist witzig, geistreich – und gibt bereits den Ton an, der die ganze Aufführung prägt: So heiter, ja geradezu schwerelos sind Inszenierungen von Andrea Moses nicht immer.

Catriona Smith (Clorinda), Diana Haller (Angelina), Maria Theresa Ullrich (Tisbe). Foto: A.T.Schaefer

Angesiedelt ist die Handlung im Hier und Heute – im ersten Akt im Heim von Angelina, dem Aschenputtel in Rossinis Oper, in dem sie als Stieftochter bzw. -schwester ein Dienstbotendasein fristet. Das gelingt mühelos, denn bei Rossini fehlen all jene überirdisch märchenhaften Elemente, die eine solche zeitliche Aktualisierung verbieten: Es gibt keine gute Fee, die dem armen Mädchen Kleider gibt, mit denen sie auf dem Ball den Prinzen begeistern kann. Hier hat Alidoro die Fäden in der Hand, der Erzieher des Prinzen. Er nimmt sich das Mädchen beiseite und erklärt, es werde sich alles zum Guten wenden. Rossini hat diese Rolle in einer späteren Bearbeitung der Oper, die jetzt in Stuttgart gespielt wird, stark erweitert.

Andrea Moses geht noch einen Schritt weiter. Bei ihr ist Alidoro ein deus ex machina. Mit einer Handbewegung gebietet er über das Licht auf der Bühne, er dirigiert den Chor, mit einem Fingerschnippen sorgt er für szenischen Umbau: Das Wohnzimmer von Angelinas Familie verschwindet im Hintergrund, von oben senken sich die elegant kühlen Wände des Palastes herab, sehr zum entsetzten Erstaunen Angelinas.

Andrea Moses, die gern in den Opern die gesellschaftskritischen Aspekte herausdestilliert, hätte das Geschehen als Anklage gegen eine patriarchalische Gesellschaft inszenieren können, doch das hätte diese Oper vergewaltigt. Sie hat darauf verzichtet und trotzdem die nötigen Akzente gesetzt. Als der Stiefvater – nach seiner dritten Tochter befragt – kühn behauptet, sie sei gestorben, greift er sich flugs die Urne mit der Asche seiner verstorbenen Frau und gibt sie als die seiner Tochter aus. Angelina bekommt vor Schreck Nasenbluten.

So erhalten die Figuren unversehens gelegentlich gespenstische Tiefe. Andrea Moses nimmt die oberflächlich betrachtet rein witzigen Figuren und Situationen ernst – und entwickelt daraus eine ganz eigene Komik. Das Resultat ist eine vor Geist und Witz sprühende Inszenierung, an der Rossini sicher seinen Gefallen gehabt hätte.

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