Er war der große Blumenmaler der Kunstgeschichte: Emil Nolde vermochte auf seinen Bildern, Blumen eine strahlende Leuchtkraft zu verleihen, die die Fähigkeit der Natur noch übertraf; seinem großen Motiv zuliebe legte er sich in seinem Haus in Seebüll an der dänischen Grenze ein blühendes Paradies an. Dass er mehr als nur ein Blumenliebhaber war, hatte bereits vor einem starken Jahr eine Ausstellung im Kunstmuseum Ravensburg gezeigt. Den „ganzen“ Nolde zeigt jetzt auch die Kunsthalle Vogelmann in Heilbronn, obwohl sie sich auf Arbeiten auf Papier beschränkt, vor allem Aquarelle, und kann gerade mit dieser Beschränkung noch einen weiteren wesentlichen Aspekt seines Schaffens verdeutlichen.
Hätte Nolde nicht in jungen Jahren Tuberkulose bekommen, dann wäre aus ihm vielleicht kein Maler geworden. Angefangen hatte er mit einer Ausbildung in einer Möbelfabrik, und auch in Berlin arbeitete er noch als angewandter Graphiker in diesem Metier, auch wenn es ihn durchaus zur reinen Kunst drängte. In der Schweiz, wo er Heilung suchte, griff er zum Zeichenstift und zum Aquarellpinsel und zeigte bereits eine faszinierende Sicherheit im Strich. In Postkartenformat hielt er Szenen aus der Bergwelt fest, charakterisierte seine Kegelfreunde als Kegel mit Gesichtern und die Gebirgsspitzen des Waxenstein als „Waxensteiner“. Der spätere Naturverehrer und Landschaftsfreund war ein grandioser Satiriker mit einem Hang zum Skurrilen, einem Hang, den er später auch auslebte, wenn er sich der nordischen Sagenwelt mit ihren Trollen widmete.
Einige dieser Graphiken ließ er für rund viertausend Franken als Postkarten drucken und vermehrte diesen Einsatz im Erlös um das Sechsfache. Die existentielle Grundlage für eine Künstlerexistenz war gelegt. So zeigt die Heilbronner Ausstellung gewissermaßen die Geburt des Künstlers Emil Nolde.
Sie verfolgt auch seinen weiteren künstlerischen Lebensweg, der ihn auf Reisen nach Sibirien und Spanien führte, wo er eher folkloristisch Land und vor allem Leute festhielt. Sehr viel interessanter ist seine religiöse Phase, in der er auf ganz eigene Art die Köpfe der Apostel gestaltete – mit Farben, die den Gestalten etwas Auratisches verleihen. Die satirische Ader kam wieder zum Vorschein, als er sich in Berlin dem Großstadtleben zuwandte.
Der eigentliche Nolde aber ist vor allem in seinen Landschaftsbildern ausgeprägt. Das können Pastelle sein oder Aquarelle. Gemeinsam ist ihnen, dass sie die Realität bis zu einem Grad auflösen, dass man fast schon von abstrakter Malerei sprechen kann, aber nur fast.
Sein Aquarell Acht Bäume besteht nur aus einigen länglichen Farbtupfern, in denen man zwar durchaus Baumstämme erkennen kann, aber mehr als scheinbar willkürlich zu Papier gebrachte Striche sind diese „Bäume“ nicht. So bewegen sich seine Bilder schon sehr früh in einem „Dazwischen“: naturnahe Motivähnlichkeit auf der einen Seite, Auflösung aller Formen in die Abstraktion auf der anderen. Und diese „Zwischenwelt“ verdankt er nicht zuletzt der Technik des Aquarells. Nur wenige Künstler der Kunstgeschichte haben sich derart intensiv dieser Technik zugewandt, und Nolde wusste, warum. Ständig experimentierte er: Er nässte das Blatt zunächst ein, sodass die Farben sogleich auf der Zeichenunterlage zu verschwimmen begannen, er setzte Effekte ein, die ihm Schneeflocken auf dem entstehenden Aquarell ermöglichten. Er nutzte ganz die Möglichkeiten der Formverwischung aus, die in nuce diese Technik auszeichnet.
Nolde blieb dabei stets der Welt des Gegenständlichen verhaftet, löste sich aber genau so weit von ihr, dass er nicht in abstrakter Beliebigkeit landete. Sein künstlerisches Credo ist als Zitat an einer Wand in der Ausstellung zu lesen: „Je weiter man sich von der Natur entfernt und doch natürlich bleibt, umso größer ist die Kunst“. Das ideale Medium für ein solches Bestreben war das Aquarell.
Unter den Nazis wurde ihm das Aquarell sogar unabdingbar zum künstlerischen Überleben, denn die kleinen Formate ließen sich leicht verstecken, auch wenn eine solche Vorsicht unnötig war, denn Nolde hatte kein Mal-, sondern „nur“ Ausstellungs- und Verkaufsverbot. Doch Nolde empfand die Situation offenbar so. Die Farben trockneten schnell – vor allem waren sie ihm zugänglich im Unterschied zu Leinwand und Ölfarbe. Hier entwickelte er seine ganze Kunst des Dazwischen. Zunächst schuf er auf den Blättern mit unterschiedlichen Farben, die allesamt mit den in der Natur vorkommenden nicht unbedingt etwas zu tun haben mussten, eine abstrakte Farbwolkenkomposition. Dann zeichnete er mit der Feder feine Linien ein, die aus der Komposition ein Gesicht, eine Gestalt oder eine Landschaft machten. Weiter in der Auflösung des Gegenstandes kann man nicht mehr gehen, will man den Gegenstand nicht verlieren. Das Aquarell – für viele Künstler eher ein Randbereich ihres Schaffens – war für Nolde das Ausdrucksmedium schlechthin. Insofern zeigt die Ausstellung gerade mit ihrer Beschränkung auf Papierarbeiten das Geheimnis des Farbkünstlers Nolde.
„Emil Nolde. Farbenzauber. Eine Retrospektive auf Papier“, Kunsthalle Vogelmann, Heilbronn bis 17.6.2018. Katalog mit Abbildungen aller gezeigten Werke 128 Seiten, 19 Euro