Sie meinen, gegen ein Untier kämpfen zu müssen, die sprichwörtlich gewordenen sieben Schwaben, weshalb jeder den Platz an der Speerspitze meidet, doch das Untier entpuppt sich als harmloser Hase. Sie werden gerne belächelt, gelten als mundfaul geizig und ein wenig wunderlich, können nach eigenem Bekunden angeblich alles außer hochdeutsch und beweisen damit mehr Selbstironie als die gerne großtuerisch auftretenden Bayern; Selbstironie aber ist eine feine Form der Weisheit. Das Schwabenbild ist voller Klischees und Widersprüche, und das greift die große Landesausstellung im Landesmuseum Württemberg in Stuttgart auf: Sie heißt „Die Schwaben“, und versucht, sie zwischen den Polen Mythos und Marke zu definieren.
Doch wer sind die Schwaben? Jedenfalls sind sie nicht gleichzusetzen mit den Sueben, von denen sich ihr Name herleitet, denn den Römern zufolge soll deren Herrschaftsbereich sogar bis an die Ostsee gereicht haben. Im Mittelalter dann wurden Sueben und Alemannen gerne synonym verwendet, und man meinte damit sowohl die Schwaben als auch die heutigen Elsässer und Schweizer, die sich im Schwäbischen Krieg schließlich von den Schwaben im engeren Sinn absonderten. Schwäbisch ist aber nicht nur Stuttgart, sondern auch Augsburg, wenngleich das politisch heute zu Bayern gehört.
Die Ausstellung beginnt mit lauter Fragen – und führt so auf Umwegen zum Versuch einer Klärung. Anders lässt sich das Thema auch nicht einkreisen. So finden sich in der kunsthistorischen Abteilung der Ausstellung Kunstwerke sowohl aus dem Kloster Sankt Gallen wie aus Augsburg, das berühmt für seine Silberschmiede war und wo die Fugger mit ihrem Geld zu Zeiten eines Karls V. Weltpolitik machten.
Wenn schon die Frage nach der Definition des Territoriums Schwaben und seiner Bewohner problematisch ist, dann ist es auch die Frage nach deren Kultur.
Gibt es eine schwäbische Kunst? Die Ausstellung blickt nach Ulm und präsentiert grandiose Werke der Ulmer Schnitzkunst. Ein Ulmer Künstler wurde prägend für ganz Süddeutschland – Hans Multscher. Seine geradezu realistischen Figuren, vor allem der Schmerzensmann, der das Ulmer Münster ziert, sind zu Recht weithin berühmt, sein Stil wurde in ganz Oberschwaben nachgeahmt, wurde also stilprägend, doch arbeitete Multscher nicht in einer schwäbischen Tradition, sondern bezog seine Inspirationen aus der damaligen niederländischen.
Solche Beispiele zeigen aber bereits einen Charakterzug dessen, was Schwaben ausmachen könnte. Die Schwaben erwiesen sich Jahrhunderte hindurch als fähig zur Inklusion. Als Frankreich die Waldenser vertrieb, fanden diese eine Heimat in Schwaben, wo sie lange Zeit an ihrer Sprache festhielten,wie noch heute Ortsnamen wie Perouse belegen.
Ähnlich problematisch wie die Frage nach einer schwäbischen Kunst ist die nach einer schwäbischen Literatur. Das Porträt Friedrich Schillers ist zu sehen, der zweifellos aus Schwaben stammte, dessen heimatlicher Dialekt sich sogar in seinen Reimen niederschlug, der aber zu „dem“ Schiller letztlich erst in Weimar wurde.
Damit wären wir bei einem weiteren Charakterzug der Schwaben: Sie haben ihre Kunst, ihr Wissen, ihre Erfindungen in die Welt getragen wie Schiller seine Dichtung in die Sphäre der Weltliteratur. In einer Installation aus Glaskugeln hängen in der Ausstellung Erfindungen, die die ganze Welt geprägt haben – vom Büstenhalter, über die Zündkerze bis zum Fliegenfänger, den bei Kinndern beliebten Pustefixseifenblasen und Steifftieren, dem Dübel und dem Leitzordner. Am Ende der Ausstellung hängt der Himmel der Schwaben nicht voller Geigen, sondern voller Firmennamen von Weltruf, von Daimler über Stihl bis Würth.
Kutterschaufel und Kehrwisch Zweite Hälfte 20. Jahrhundert. Landesmuseum Württemberg, Stuttgart, Museum der Alltagskultur © Landesmuseum Württemberg, Stuttgart; Foto: Hendrik Zwietasch
Auch das macht Schwaben aus – ähnlich wie die Kehrwoche. Mag sie vielen als Klischee wirken, so steckt hinter ihr doch nichts anderes als der Versuch, Ordnung ins Chaos zu bringen, Arbeit gerecht zu verteilen – so wie die „Stuttgarter Schaltung“ gerechte Verteilung bei den Stromrechnungen ermöglicht, weil sie für jeden Mieter eines Wohnhauses einen eigenen Stromschalter für die Kellerbeleuchtung bereitstellt.
So schält sich gewissermaßen unter der Hand doch so etwas wie ein Charakterbild dessen heraus, was Schwaben ausmachen könnte, und doch bleibt das Hauptsatzzeichen der Ausstellung zu Recht das Fragezeichen. Eine Fotogalerie gleich im Entree zur Ausstellung macht das schlagend deutlich: Wolfgang Schäuble ist da zu sehen und Reinhold Würth – beide gelten vielen als Inbegriff der Schwaben, sind jedoch gebürtige Badener, auch wenn das „le“ im Namen Schäuble als perfekten Schwaben auszugeben scheint. Hildegard Knef war Weltstar und gilt vielen als Berlinerin, kam aber in Ulm zur Welt wie ihre heutige Kollegin Natalie Wörner in Waiblingen. Und Cem Özdemir kam in Urach zur Welt, bezeichnet sich selbst aber als „anatolischer Schwaben“.
Schwabe, so der Tenor der Ausstellung, kann man sein, Schwabe kann man aber auch werden: Wenn das nicht Inbegriff von Offenheit ist, ausgerechnet bei den Schwaben, die ja doch gemeinhin als provinziell gelten.
Die Schwaben. Zwischen Mythos und Marke. Landesmuseum Württemberg bis 23.4.2017. Katalog 464 Seiten, 29.80 Euro