Pop Art made in Germany. Die Sammlung Kraft

Es war die Kunst der Nachkriegszeit, eine Kunst der Konsumwelt, des Luxus, der Alltäglichkeit: die Pop Art. Alles, was in den 50er Jahren in der Kunst verpönt war – Gegenständlichkeit, leichte Verständlichkeit, Plakativität – wurde in ihr zum Motto erhoben. Ob Industrieprodukte wie Suppendosen, Comics oder Objekte wie die amerikanische Flagge – alles wurde subtiler farblicher Nuancen entkleidet und in grellen Farben auf die Leinwand gebracht. Der persönliche Pinselstrich galt nichts mehr, die Revolte gegen den abstrakten Expressionismus in den USA oder das Informel in Europa war vollkommen. Die Sammlung des Kölners Hartmut Kraft zeigt die Folgen dieser amerikanischen Revolution (die freilich in England ihre Ursprünge hatte) für die deutsche Kunstszene.

Es ist alles da, wofür sich die Popkünstler jenseits des großen Teichs stark gemacht hatten: Plakative Farben, lupenreiner Farbauftrag, sexuelle Anspielungen, Reduzierung auf das, was zur Erkennung nötig war: Die Umrisse zweier Beine, eine dicke grüne „Wurst“, die aus einer Farbtube quillt. Letzteres malte Winfred Gaul ins Zentrum eines großen Ölbildes. Damit hätten sich die amerikanischen Pop Art-Vorbilder möglicherweise begnügt. Gaul aber malte um dieses zentrale Motiv ein Ornament, machte aus einem typischen Pop-Motiv ein ganz neues Bild, auf dem das Alltägliche (der Klecks Farbe und die Tube) in den Hintergrund tritt. Das ist keine reine Pop Art, das ist Malerei unter Verwendung der Pop-Stilmittel.

Sehr nah am amerikanischen Vorbild scheint Fritz Köthe zu sein: Grell rot porträtierte er zwei Lippenpaare. Doch wenn man genauer hinsieht, bemerkt man, dass er nicht die erotischen Symbole gemalt hat, sondern ein Plakat mit zwei Mündern, das zum Teil abgerissen ist. Damit spielt er mit den Mitteln der Pop Art auf die Kunstströmung der Décollage an.

Noch krasser ging Siegfried Kischko zu Werk. Seine riesigen Leinwände sind übersät von Elementen, die man aus der amerikanischen Pop Art kennt: Buchstaben, Zahnräder, Elemente aus dem Alltag, stark vereinfacht in glattem Farbauftrag auf die Leinwand gebracht. Aber es sind so viele solcher Gegenstände, meist sind sie zudem noch an den Bildrädern angeschnitten, dass ein völlig neuartiges Bild entstand. Die Amerikaner hätten einzelne solcher Gegenstände zentral ins Bild gesetzt, Kischko macht aus ihnen fast schon eine abstrakte Komposition.

Robert Indiana hat die Buchstaben LO-V-E bunt zu viereckigen Gebilden zusammengespannt. Er bediente sich dabei der Mittel der Industriereklame, Schablonenbuchstaben. Als einige Jahre danach Ferdinand Kriwet Buchstaben auf Gemälden anordnete, schuf er regelrechte konkrete Poeme.

Die deutschen Künstler, die sich in den 60er Jahren daran machten, die amerikanische Kunstrevolution aufzugreifen, mussten nicht noch einmal deren revolutionäre Tat vollbringen, sie konnten gewissermaßen mit dem dort bereits Erreichten „spielen“, es einsetzen zu anderen Zwecken. Bernard Schultze formulierte bereits 1964 hellsichtig, dass die amerikanische Pop Art für Europa „eine Art stimulierenden Rohmaterials“ sein könne. Und da die deutsche Pop Art in den Jahren einsetzte, als gesellschaftlich der Aufbruch der 68er stattfand, dienten die Popelemente nicht selten politischen Aussagen. Peter Brüning beispielsweise verwendete ein Zeitungsfoto mit einer Straßenszene, kopierte sie stark vergrößert auf eine Spanplatte; soweit verhielt er sich typisch popkunstgemäß. Doch dann zeichnete er in dieses große Fotobild Linien ein. Das Resultat: Eine Mischung auf Alltagsobjekt (Zeitungsfoto) und abstrakter Linienführung, zugleich ein Hinweis darauf, wie vorgezeichnet in unserer modernen normierten Welt die Wege der Passanten sind.

Schon 1974 warnte Siegfried Neuenhausen vor einer allzu außengelenkten Gesellschaft, indem er aus einem Kunststoffkopf hinten – gewissermaßen aus dem Gehirn – Drähte ragen ließ. „Programmiert“ nannte er das Objekt, das heute, vierzig Jahre danach, immer noch hochmodern anmutet.

Wolf Vostell vergrößerte 1969 das Foto einer Boeing B-52 so stark, dass man die Pixel einzeln erkennt. Aus dem Militärflugzeug lässt er aber nicht Bomben fallen, sondern Lippenstifte, die er auf die Graphik montierte. Das ist mit dem Einsatz von Zeitungsfoto und Erotiksymbolen typische Pop Art, zugleich ist es eine Stellungnahme gegen den Vietnamkrieg, und es darf gelesen werden als bildnerische Umsetzung des Slogans „Make Love Not War“. So vielschichtig waren die amerikanischen Popkünstler selten.

Auch wenn deren deutsche Kollegen nur wenige Jahre nach den Amerikanern die neue Kunstsprache aufgriffen, so war diese doch schon so etabliert, dass sie Grundlage für weitere Schritte sein konnte. Die Deutschen sind sie gegangen.

I like FORTSCHRITT. Deutsche Pop Art reloaded“, Städtische Galerie Villingen Schwenningen, Schwenningen, Friedrich-Ebert-Straße 35 bis 27..8.2017. Katalog 152 Seiten

Ein Gedanke zu „Pop Art made in Germany. Die Sammlung Kraft

  1. René Hirner

    Vielen Dank für den ausführlichen Artikel, der das spezifisch europäische am internationalen Phänomen Pop Art schön herausarbeitet.

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