Es gibt Künstler, die über eine persönliche Handschrift verfügen, an der man sie sofort erkennt. Bei van Gogh dürfte es die heftig aufgespachtelte Farbe sein, bei Picasso das Gesichtsporträt aus mehreren Perspektiven zugleich. Bei manchen Künstlern ist diese persönliche Handschrift an einer Vorliebe abzulesen, etwa für eine Farbe. Bei Yves Klein war es das ganz besondere Blau, bei Rupprecht Geiger das Rot, bei dem 1919 geborenen Pierre Soulages ist es das Schwarz. Es sei für ihn, so bekannte er einmal, eine Leidenschaft, geradezu ein Exzess. Seit seinen Anfängen widmete er sich dieser Farbe, die ja eigentlich eine Unfarbe ist und sich dem Phänomen verdankt, dass sie (nahezu) kein Licht zurücksendet. Dennoch kann man sich ihrer Faszination nicht entziehen. Das Museum Art.Plus in Donaueschingen geht dieser Leidenschaft des französischen Künstlers nach und zeigt auf, dass auch andere Künstler der Versuchung, die von Schwarz ausgeht, erlegen sind.
Schon seine frühen Arbeiten waren von Schwarz beherrscht. In Anlehnung an ostasiatische Kalligraphie, die ja mit schwarzer Tusche zu Papier gebracht wird, legte er dicke Linien subjektiv geschwungen auf seine Leinwände. Dann verdichteten sich diese Linien immer mehr, und seit 1979 sind die Bildflächen von Pierre Soulages völlig schwarz – was nicht heißen soll: monochrom! Schon das Instrumentarium, mit dem er seine meist großformatigen Bildflächen bearbeitet, zeigt, dass er Schwarz nicht wie eine beliebige andere Farbe verwendet. Mit Bürsten, Besen und zwischen zwei Holzscheiben gespannten Gummistücken traktiert er das noch weiche Material, er verletzt die Oberfläche, trägt Teile der schwarzen Sunstanz ab, verstreicht sie, kreiert Rillen, die wie Jalousien wirken – und zeigt, dass Schwarz eben nicht gleich Schwarz ist. Je nachdem, wie das Licht auf die gelegentlich sehr unruhige Bildoberfläche fällt, fangen die Farbspuren an, Licht zu reflektieren. „Outrenoir“ nennt Soulages daher zu Recht auch sein Material, ein Schwarz jenseits von Schwarz, und siehe da, unter seinen Händen kann Schwarz sogar doch das, was es physikalisch eigentlich nicht vermag: Licht reflektieren.
Dabei ist auch von zentraler Bedeutung, wie sich der Betrachter vor diesen Bildflächen verhält. Bewegt er sich, fangen auch die Bildflächen an, sich scheinbar zu bewegen. Schwarz bleibt ein Geheimnis und wird unter seinen Händen umso geheimnisvoller, als es ihm gelingt, aus der Unfarbe, dem physikalischen Phänomen Schwarz, doch wieder so etwas wie eine Farbe zu machen.
Diese geradezu paradoxe Verwandlung findet sich bei anderen Künstlern in dieser Dimension nicht. Soulages ist da eine Ausnahmeerscheinung. Und doch ist auch bei den übrigen Künstlern dieser Ausstellung Schwarz beileibe nicht immer gleich.
Felix Schlenker beispielsweise mischte für einen Teil seiner Farbflächen dem schwarzpigmentierten Malmaterial Sand bei und erzielte eine geradezu samtene Oberflächenqualität. Der Italiener Nunzio sägt aus seinen hohen Holzstämmen schräge Partien aus, flämmt das Holz dann mit dem Bunsenbrenner ab und schafft so ähnliche Lichtwirkungen wie Soulages, doch ungleich matter, schließlich ist hier die „Farbe“ Schwarz das Material Holz selbst.
Gerhard Langenfeld erzielt seine „Farbwirkungen“ durch unterschiedliche Platzierung seiner Bildflächen, die mal etwas von der Wand hervorragen, mal zurücktreten. Hier verändert unterschiedliche Entfernung vom Auge und Lichteinfall das Schwarz.
So zeigt sich, dass Schwarz möglicherweise keine Farbe ist, doch unter künstlerischer Hand sehr wohl Farbähnlichkeit annehmen kann, dass Schwarz nie identisch ist und je wandlungsfähiger es sich erweist, umso geheimnisvoller wird. Schwarz ist nicht die Farbe des Todes, Schwarz lebt!
„Leidenschaft . Passion – Im Fokus: Pierre Soulages“. Museum Art.Plus, Donaueschingen bis 21.1.2018. Kunsthefte: „Leidenschaft. Passion“ (5 Euro) und „Leidenschaft.Passion: Im Fokus: Pierre Soulages“ (4 Euro), zusammen 8 Euro.