Sie stellten die künstlerische Freiheit des Einzelnen über alles, machten aus Alltagsobjekten Kunst: die Dadaisten. Marcel Duchamp erhob gar ein Pissoir zum Kunstwerk. Demgegenüber zählten für die Vertreter der Konkreten Kunst allein die Linie, die Fläche, das System. Der 1965 geborene Türke Şakir Gökçebağ, der seit zwanzig Jahren in Hamburg lebt und arbeitet, steht gewissermaßen zwischen diesen Polen, wie jetzt eine Ausstellung im Museum Ritter in Waldenbuch zeigt, und schlägt dabei so manche Volte: „Twists and Turns“.
Malerische Welten: Neue Bilder von Anna Bittersohl in der Galerie Schlichtenmaier
Jedes Kunstwerk, ob Graphik oder Gemälde, ist ein Artefakt. Mag es noch so sehr wie ein perfektes Abbild der Realität wirken, zum Beispiel das Rasenstück von Albrecht Dürer – es besteht doch nur aus ein paar Linien und Farbflecken und ist insofern letztlich ein abstraktes Gebilde. Genau dieses perfekte Changieren zwischen Realitätsnähe und künstlichem Gebilde macht das Wesen der Bilder der Malerin Anna Bittersohl aus.
Zu wenig Hoffmann: Edward Clugs Nussknacker am Stuttgarter Ballett
Vor sechzig Jahren schuf Jürgen Rose in Stuttgart das Bühnenbild zu John Crankos Ballett Romeo und Julia. Es war der Auftakt zu einer intensiven Zusammenarbeit mit diesem inzwischen legendären Choreographen bis zum frühen Tod von Cranko und der Beginn einer Weltkarriere des Bühnen- und Kostümbildners Rose. Jetzt hat er mit Tschaikowskys Nussknacker wieder Bühnenbild und Kostüme für das Ballett in Stuttgart kreiert – und auch mit 85 Jahren ist die Fülle seiner kreativen Fantasie grenzenlos.
Ensemble © Roman Novitzky/Stuttgarter Ballett
Bildhauerei? Kubus. Sparda-Kunstpreis 2022
Sie zählt zu den ältesten erhaltenen Kunstwerken überhaupt – die Skulptur, nicht zuletzt, weil sie bereits in der Antike aus Stein hergestellt wurde, daher auch der Begriff, abgeleitet vom lateinischen Verb für „schnitzen“ oder „meißeln“. Nicht durch „Abtragung“ von Material, sondern durch aufbauendes Hinzufügen entstehen Plastiken. Beiden gemeinsam: sie sind raumgreifend, dreidimensional. Im 20. Jahrhundert hat sich das Formen- und Materialspektrum erweitert bis hin zu den Readymades aus Alltagsobjekten eines Marcel Duchamp. Für den alle zwei Jahre verliehenen Sparda-Kunstpreis Kubus wurde diesmal das Thema „Zeitgenössische Bildhauerei“ vorgegeben. Das Kunstmuseum stellt drei Positionen vor: Ulla von Brandenburg, Camill Leberer, Ülkü Süngün.
Kunstgeschichtlicher Parforceritt: „Mit Blick auf Adolf Hölzel“ im Kunstmuseum Reutlingen
Es gab in der Malerei des 20. Jahrhunderts viele Wege in die Abstraktion, präziser: die ungegenständliche Kunst. 1915 präsentierte Kasimir Malewitsch revolutionär nichts als ein schwarzes Quadrat auf weißem Grund, wenige Jahre danach befand Theo van Doesburg, nur Linie, Farbe und Fläche seien die wesentlichen Elemente der Malerei. Andere Künstler gingen von der gegenständlichen Malerei aus und fanden zur Überwindung des Gegenstands durch Abstrahierung. So etwa Adolf Hölzel, der von 1905 an als Professor an der Stuttgarter Kunstakademie die Gesetzmäßigkeiten von Farbe, Linie und Form analysierte und seinen Schülern beibrachte. Von ihm ausgehend versucht nun das Kunstmuseum Reutlingen „zwei Entwicklungslinien der Kunstgeschichte nachzuzeichnen“, die von der auf der „Figur basierenden gegenständlichen Kunst über die Abstraktion zur ungegenständlichen Kunst führen“, so der zentrale Satz eines einführenden Wandtextes.
Chemie als Lebenselixier: Donizettis L’Elisir d’Amore an der Oper Stuttgart
Diese Oper ist eine Herausforderung an Regisseure, denn streng genommen bietet sie nicht viel, zumindest an Handlung. Ein Dorf in der Provinz, die kokette Pächterin Adina, der fahrende Händler Dulcamara, Belcore, ein Militärsergeant, und Nemorino als „Held“, den alle für einen Trottel halten – kein Wunder, dass Regisseure sich immer wieder bemüht sehen, Donizettis Oper Der Liebestrank in ein anderes Ambiente zu verlegen: Von einem Badestrand bis zu einem Wellnesshotel war alles dabei; Rolando Villazón ließ die Geschichte in seiner Inszenierung im Baden-Badener Festspielhaus an einem Westernfilmset spielen mit Adina als Filmstar und Nemorino als kleinem Komparsen.
Humor bei Wagners Siegfried: Die Inszenierung von Jossi Wieler und Sergio Morabito an der Oper Stuttgart
Es war vor über zwanzig Jahren, da hatte der damalige Stuttgarter Opernintendant Klaus Zehelein die durchaus kühne Idee, die vier Teile von Wagners Ring, nicht wie meist – und vor allem in Bayreuth – üblich, von einem einzigen Regisseur inszenieren zu lassen, sondern für jeden Abend einen anderen Regisseur zu wählen. Der jetzige Intendant Viktor Schlomer setzte diese Tradition fort, ja steigerte sie noch, indem er für eine der vier Opern – Die Walküre – gar pro Akt einen anderen Regisseur verpflichtete. Für den Siegfried dagegen holte er die seinerzeit von Jossi Wieler und Sergio Morabito erarbeitete Version noch einmal auf die Bühne – eine grandiose Wahl für eine grandiose Inszenierung.
Synthese von Gegensätzen: Die Malerei von Vera Leutloff
Farbe kann einem Maler zu sehr unterschiedlichen Zwecken dienen. Zum einen kann sie Mittel zur Darstellung eines Bildes von unserer Welt sein – einer Landschaft, eines Stilllebens, eines Porträts; zum anderen kann sie reiner Selbstzweck sein wie etwa das Blau bei Yves Klein oder das Schwarz bei Ad Reinhardt. Die Malerei von Vera Leutloff scheint beides zur Synthese zu bringen, wie jetzt eine Retrospektive im Kunstmuseum Reutlingen/konkret zeigt.
Raffinierte Schlichtheit: Die Malerei von Çiğdem Aky
„Gehet hin und lernet, mit so einfachen Mitteln so Großes hervorzubringen“ meinte Beethoven einmal über Georg Friedrich Händel. Ohne sie mit diesen Titanen der Musikgeschichte vergleichen zu wollen, könnte man Ähnliches auch über die 1989 geborene Malerin Çiğdem Aky sagen, die diesjährige Stipendiatin der HAP-Grieshaber-Stiftung in Reutlingen. Auf ihren Bildern variiert sie letztlich ein einziges Formprinzip – doch mit welcher Vielfalt, wie ihre Ausstellung „Im Schatten der Bäume“ im Kunstmuseum Reutlingen/Galerie zeigt.
Konfettiregen. 2022 © Çiğdem Aky. Foto: Horst Simschek
Kunst und Landschaft – die Kunststiftung Hohenkarpfen
Mehr als Landschaft erwartet man nicht, wenn man gleich hinter (oder, je nach Richtung, vor) Hausen ob Verena in den asphaltierten Feldweg einbiegt. Links erhebt sich der Bergkegel des Hohenkarpfen, das älteste Naturschutzgebiet Baden-Württembergs, rechts fällt der Hang steil in ein Tal ab. Doch nach der letzten Wegbiegung erblickt man ein altes Gebäude – das Hotel Hofgut Hohenkarpfen, und im Stockwerk unter den Hotelräumen die Kunststiftung Hohenkarpfen. Seit über dreißig Jahren präsentiert sie dort Kunst aus dem deutschen Südwesten. Dass es dazu kommen konnte, verdankt sich gleich mehreren Zufällen.
Kunststiftung Hohenkarpfen, Foto: Horst Simschek