Die Suche nach einer Interimsspielstätte für die dringend sanierungsbedürftige Oper Stuttgart gleicht inzwischen einem Schwabenstreich. Als Viktor Schoner zum neuen Intendanten gewählt wurde, ging man davon aus, dass er, der als Künstlerischer Betriebsdirektor an der Bayerischen Staatsoper auch große Erfahrungen im organisatorischen Bereich hat, die Oper in Stuttgart ins Übergangsdomizil führen, dort erfolgreich leiten und vielleicht sogar wieder ins Stammhaus zurückführen werde. Damals war unter anderem an den Umbau des ehemaligen Paketpostamts in Stuttgart gedacht, und so plante Schoner für seine erste Spielzeit gewissermaßen symbolisch den Umzug mit einer „Probeproduktion“. Inzwischen ist das Postamt vom Tisch und Schoner wird während seiner Vertragszeit wohl auch kaum die Oper in irgendeine andere Interimsstätte führen können, die Politik dürfte in der Planung derzeit auf dem Stand von vor einigen Jahre sein. Die „Probeinszenierung“ aber fand statt.
Die Suche nach einer Interimsspielstätte für die dringend sanierungsbedürftige Oper Stuttgart gleicht inzwischen einem Schwabenstreich. Als Viktor Schoner zum neuen Intendanten gewählt wurde, ging man davon aus, dass er, der als Künstlerischer Betriebsdirektor an der Bayerischen Staatsoper auch große Erfahrungen im organisatorischen Bereich hat, die Oper in Stuttgart ins Übergangsdomizil führen, dort erfolgreich leiten und vielleicht sogar wieder ins Stammhaus zurückführen werde. Damals war unter anderem an den Umbau des ehemaligen Paketpostamts in Stuttgart gedacht, und so plante Schoner für seine erste Spielzeit gewissermaßen symbolisch den Umzug mit einer „Probeproduktion“. Inzwischen ist das Postamt vom Tisch und Schoner wird während seiner Vertragszeit wohl auch kaum die Oper in irgendeine andere Interimsstätte führen können, die Politik dürfte in der Planung derzeit auf dem Stand vor einigen Jahre sein. Die „Probeinszenierung“ aber fand statt.
Herzog Blaubart: Falk Struckmann, Judith: Claudia Mahnke. Foto: Matthias Baus
Op de Beeck lässt das alles auf einem Steg im Wasser geschehen, auf dem die beiden Protagonisten sich mal näherkommen, mal voneinander entfernen – eine richtige Paarbeziehung, das wird deutlich, entwickelt sich hieraus nicht. Als Regisseur belässt Op de Beeck es bei diesen zarten Andeutungen, über weite Strecken ist seine Inszenierung statisch. Das mag man als Mangel empfinden, stellt aber deutlich heraus, worum es in dieser Oper neben den beiden Akteuren zumindest gleichberechtigt auch geht: die Burg, das Gebäude. Bartóks Musik lässt diese Burg Klang werden, seine Partitur ist nicht nur Ausdruck der Empfindungen des Paares, sondern auch Charakterisierung des Gemäuers, seiner Aura, seiner gefährlichen, aber auch faszinierenden Aspekte, denn es birgt Folterkammer wie auch Schatzkammer – und den See aus Tränen, den Tränen der drei früheren Frauen des Herzogs.
Titus Engel entlockt dem an einer Seitenwand platzierten Klangkörper alle Farben, die Bartók in seiner Partitur eingefangen hat, von raunend geheimnisvoll und bedrohlich über strahlend auftrumpfend bis hin zum Verklingen in den Schlusstakten. Das Orchester ist ein weiterer Akteur in diesem Drama, und am Ende senkt sich gewissermaßen mit dem Verklingen der Musik Dunkel über diese Welt.
In den See der Tränen, der die Burg umgibt, ist die Neue, Judith, nun eingetaucht, und also bleibt sie nicht auf dem Steg, sondern watet auch im Wasser – wie bereits die Besucher des Abends, denn der beginnt bereits eine halbe Stunde, ehe der erste Ton von Bartóks Komposition erklingt. Nachdem sich die Besucher wasserdichte Überschuhe angezogen haben, werden sie von Führern in kleinen Gruppen durch das Wasser zu den Sitzplätzen geleitet. Somit ist das „Bühnenbild“ zugleich die Welt der Zuschauer, die voyeurhaft dem Geschehen zwischen den beiden Akteuren beiwohnen, aber vorher am eigenen Leib die beängstigende Welt erlebt haben, die nunmehr Judiths neue Heimat werden soll. Es ist eine Eroberung der Bühnenwelt durch den Zuschauer, zugleich ein Eintauchen in eine Unterwelt. Man kann an den Fluss Lethe denken, über den die Griechen der antiken Sage gemäß in ihr Leben nach dem Tod fahren.
Alles an dieser Inszenierung ist symbolisch, ganz aus Bartóks Oper heraus gedacht, die Oper Raum einer Grenzerfahrung nicht nur in dem Sinne, in dem sie es meist ohnehin ist, sondern ganz existentiell mit dem eigenen Körper erlebt durch den Zuschauer.
Claudia Mahnkes Judith ist nicht einfach eine junge, harmlose, neugierige Frau, sie ist mal zärtlich, mal bittend, dann aber auch wieder herrisch fordernd, ganz der Partitur entsprechend. Vielschichtiger kann man diese Rolle stimmlich und im Ausdruck kaum mehr gestalten. Entsprechend ist der Herzog in Falk Struckmanns Darstellung auch kein Tyrann, sondern eher der Bittende, der Judith anfleht, nicht auch auf das Öffnen der letzten Tür zu bestehen. Bei Hans Op de Beeck ahnt er bereits, wie die Geschichte ausgeht, er ist, wie der Fliegende Holländer, gezwungen, immer aufs Neue eine Partnerschaft zu versuchen.
Herzog Blaubart: Falk Struckmann, Judith: Claudia Mahnke. Foto: Matthias Baus
Hier bleibt allerdings offen, ob es nicht doch das letzte Mal war, schließlich ist mit der Nacht, die Judith zugedacht ist, die Tageszeitensymbolik vollendet. Am Schluss geht er von der Szene, Judith bleibt zurück, doch nicht unbedingt ihrem Schicksal überlassen. Sie trägt wieder den Rucksack, mit dem sie diese Welt betreten hat. Vielleicht geht auch sie – doch das bleibt Spekulation, vorerst bleibt sie auf dem Steg sitzen. Nur die Zuschauer dürfen diese Welt verlassen, konsequenterweise wieder durch das Wasser.
Natürlich wäre das Paketpostamt als Interimsstätte nicht so geblieben, wie es sich an diesem Abend präsentiert, insofern ist diese Produktion auch nicht repräsentativ für eine Ersatzspielstätte – wohl aber fulminant genutzt als Schauplatz für alternative Oper, und das Team um Intendant Schoner hat gezeigt, dass es auch unter solchen Ausnahmezuständen perfekte Arbeit leisten kann – vom Umbau der Lagerhalle zu Foyer und Spielort über die Information des Publikums bis hin zur Logistik der Zuschauerbeförderung, denn mit dem Auto verbot sich eine Anfahrt aus Mangel an Parkplätzen. So begann das Opernabenteuer bereits mit dem Weg zur Aufführung, ob per Busshuttle oder geführtem Spaziergang von der U-Bahn. Der ehemalige „Künstlerische Betriebsdirektor“ hat gezeigt, dass beide Aspekte seiner Münchner Arbeit perfekt zu Gebote stehen: Betrieb und künstlerische Gestaltung.