Bildende Kunst ist, wie der Begriff nahelegt, gestaltete Wirklichkeit. Diese kann sich der Welt unseres Alltags annähern, wie es die Künstler im Realismus versuchten, aber sie ist doch eine von der realen Welt abgehobene Sphäre, auch wenn das seit dem 20. Jahrhundert nicht immer erkennbar ist, wie Phänomene wie „Readymades“ belegen, die ein Marcel Duchamp vor hundert Jahren populär machte. Eine Ausstellung mit Werken von Robert Barta in der Städtischen Galerie Tuttlingen hat genau diese Phänomene im Zentrum, und schon der Ausstellungstitel ruft fragende Mienen hervor: „Jung werden dauert“.
Was, so fragt sich der Besucher der neuen Ausstellung in der Städtischen Galerie in Tuttlingen möglicherweise, mag sich hinter den vier einfarbigen Vorhängen im Untergeschoss verbergen? Wer die Städtische Galerie kennt, weiß, dass es in diesem Kellerraum keine Fenster sein können; er besteht aus vier kahlen Wänden und einer Tür. Aber Robert Barta gab dieser seiner neuesten Arbeit ja auch nicht den Titel „Curtains“ – also Vorhänge, sondern Covers, Abdeckungen. Was aber verbergen sie? Man wird es nicht erfahren, denn wie bei Kunstausstellungen üblich, ist das Berühren der Werke untersagt, wie hier auch kleine Aufkleber mit durchgestrichener Hand andeuten.
Es ist eine der Aufgaben von Kunst, Fragen zu stellen, unsere Welt zu hinterfragen – und das gelingt Robert Barta mit dieser so schlicht wirkenden Installation. Aber schlicht wirken so viele seiner Arbeiten – und sie sind auch oft unserer Alltagswelt sehr nah. Dass jemand eine leere Saftpackung achtlos auf den Boden wirft, mag leider vorkommen, dass man solchen Hüllen aber in einer Städtischen Galerie begegnet, nimmt doch Wunder. Aber Barta spielt oft mit überkommenen Vorstellungen, nicht zuletzt auch denen einer Kunstausstellung. So hängt an einer Wand ein Bilderrahmen schief. Nun gut, denkt man, das Exponat ist noch nicht fertig, es fehlt ja auch noch das Bild im Rahmen, aber dem ist nicht so. Das Werk ist fertig, es hängt eben schief.
Bei Barta kann man auch tun, was eigentlich nicht als opportun gilt, nämlich eine Kerze an zwei Enden anzünden. Man muss sie nur zum Zwilling biegen. Im Stockwerk darüber hängt übrigens das Pendant zu dieser Arbeit, hier mit den Dochten nach unten, hinunter zum anderen Zwilling. Hier ist das Anzünden schon etwas schwieriger.
Fragen über Fragen. Warum zum Beispiel kreist der Hula-Hoop-Reifen nicht um eine menschliche Taille, wie man es in den 50er Jahren oft sah, sondern um einen Kaktus, und warum gelingt dem Kaktus, was dem Menschen nicht gelingt – dass der Reifen oben bleibt? Immerhin, er kreist schon lange, der Kaktus ist an der Stelle des kreisenden Reifens abgewetzt, einige Stacheln liegen am Boden daneben. Hier bewegt sich Barta im Bereich des Surrealen – ganz auf der Ebene der Alltagsrealität dagegen mit zwei Schuheinlagen, deutlich abgetragenen Exemplaren, offensichtlich vom Künstler selbst benutzt, denn er nennt die Arbeit Artist’s Portrait – „Bildnis des Künstlers“. Dass diese abgetretenen Einlagen freilich auf dem Karton einer Luxussportschuhfirma liegen, verblüfft, und dass sie aus Bronze nachgebildet sind, erst recht. Alltag mutiert zur Kunst, zumindest zur Künstlichkeit.
Alltag findet sich bei Barta sogar ehrwürdig zur Kunst erhoben, eingerahmt – eine alte Bluejeans, ebenfalls von ihm selbst getragen, soll man dem Etikett glauben, aber was heißt bei Barta schon glauben. Never lost anything nennt er das Stück, nie etwas verloren. Bei den Hosentaschen am Gesäß? Falsch herum aufgenäht!
Aber man kann Barta durchaus auch ernst nehmen. Neverendingstory, eine nie endende Geschichte, nennt er einen Basketballkorb der besonderen Art. Normalerweise sollte der Ball, wenn ein Spieler ihn in den Korb hoch droben an der Wand bugsiert hat, wieder durch das Netz fallen und einer weiteren Attacke dienen. Hier bleibt er auf ewig gefangen – ein nie endendes Spiel, für den Sportler aber auch ein Objekt der Verzweiflung –
ähnlich wie der Kleiderständer, der sich offenbar im Atelier des Künstlers befindet. Bei diesem Studio Visit, wie die Arbeit heißt, muss man den Mantel aber wohl in der Hand behalten, so schräg wie der Ständer an der Wand lehnt – und so fragil, wie er durch die Bisse eines Bibers offenbar geworden ist.
Nichts ist hier so, wie man es kennt. So lädt eine Zimmertür geradezu zum Eintritt ein – wenn man es denn kann, denn die Klinke dreht sich von selbst, und zwar im Kreis.
Je näher sich Barta mit seinen Arbeiten allerdings am Rand der Welt bewegt, die wir kennen, umso leerer sind sie. Der T-Shirt-Aufdruck, man möge sich doch eine Familie kaufen, mag zwar den Werbeslogan der dort angegebenen schwedischen Firma aufgreifen, die sich einmal das „unmögliche Möbelhaus“ nannte, aber sonderlich vielschichtig ist das nicht. Die Tür mit der sich drehenden Klinke sollte nicht einfach an der Wand lehnen – und vor allem sollte der Motor nicht sichtbar sein, der die Klinke bewegt.
Da ist die Einladung einer Schere, die offenbar für Paare gedacht ist, schon subtiler: Nice to meet you, auch wenn die Finger hier niemals zusammenkommen dürften. Immerhin: Dieses Werk darf berührt werden – wie übrigens auch der erwähnte schiefe Bilderrahmen, wie das Klebeetikett daneben besagt. Hammer und Nägel liegen am Boden daneben, und Löcher in der Wand legen nahe, dass es schon Versuche gegeben hat – ob freilich von Besuchern oder vom Künstler selbst, bleibe dahingestellt, wie so vieles, was Robert Barta dem Besucher seiner Ausstellung vorsetzt.
„Jung werden dauert“. Robert Barta in der Städtischen Galerie Tuttlingen bis 10.12.2023