Man meint, den Duft der Blüten riechen zu können, so präzise porträtierten die Meister des 17. Jahrhunderts ihre Blumensträuße. An diese Maltradition fühlt man sich erinnert vor den Bildern von Luzia Simons, doch sie strebt nicht mit Pinsel und Farbe detailgetreue Abbildungen an, sie greift zu Techniken unserer Tage, und schafft doch keine schlichten Blumenporträts, wie eine Ausstellung in der Galerie Schlichtenmaier in Dätzingen zeigt.
Stockage 216_1/5, 2024 © Luzia Simons / VG Bild-Kunst, Bonn
Man erkennt die Blumen meist auf den ersten Blick: Tulpen natürlich, Anemonen – Blumen, wie sie auch der Meister des Blumenstilllebens in der Kunstgeschichte bevorzugte: Jan Brueghel d.Ä. Allerdings verzichtet Luzia Simons auf Ingredienzien wie Insekten, die sich auch auf Brueghels Bildern finden. Vor allem aber: Ihre Bilder zeigen nicht wie die von Brueghel Blumen, die zu verschiedenen Jahreszeiten blühen, denn der Maler kann aus dem Gedächtnis seine Bilder kreieren und also auch der Fantasie freien Lauf vor der botanischen Realität einräumen. Luzia Simons verwendet für ihre Kunst nicht Pinsel und Farbe, sondern einen Scanner, also einen Fotokopierapparat, und braucht dafür die Blüten, sogar von Pflanzen, die gleichzeitig blühen, denn alle Blüten müssen für das Bild im Original vorhanden sein. Und doch verwundert die Ähnlichkeit mit Blumenstillleben aus der Kunstgeschichte nicht, denn wie die Maler, so wählt auch Luzia Simons ihre Motive sorgsam aus.
Vor schwarzem Hintergrund heben sich die Blüten mit einer ungewöhnlichen Präsenz ab, was nicht zuletzt daran liegt, dass auf diesen Bildern das, was man von Fotografien her kennt, fehlt: die Zentralperspektive. Jede der Blüten auf der ganzen zum Teil sehr großen Bildfläche ist von gleicher Präzision der Wiedergabe. Das liegt daran, dass der Scanner im Unterschied zum Fotoapparat auf der ganzen Bildfläche jedes Detail gleich genau abbildet – zumindest, und auch das unterscheidet ihre Blumenbilder von Fotografien, jene Blütenteile, die unmittelbar auf der Glasscheibe des Scanners liegen. Alles, was sich auch nur ein wenig von der Glasscheibe abhebt, ist weniger hell und weniger scharf. Auf diese Weise entsteht der Eindruck einer Raumtiefe, aber nur der Eindruck einer solchen. Somit sind ihre Blumenporträts Bilder ganz eigener Art.
Es eignet ihnen – bei aller Nähe zum Original der präzisen Abbildtechnik – zugleich auch ein Hauch von Unwirklichkeit, fast Künstlichkeit. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Blumenarrangements sich vor einem unnatürlich gleichmäßigen schwarzen Hintergrund abheben. Auf diese Weise erhalten die Bildwiedergaben eine fast schon magisch anmutende Präsenz. Ohne Titel 04, 2023 © Luzia Simons / VG Bild-Kunst, Bonn
Diese Künstlichkeit zeigt sich vor allem in Luzia Simons‘ Aquarellen, bei denen sie gewissermaßen den umgekehrten Weg wie auf ihren Scannogrammen geht: Legt sie dort ihre Blumen sorgsam zu Arrangements zusammen, seziert sie hier die Blumen in Einzelteile, meist Blütenblätter, und macht aus dem Naturprodukt abstrakte graphische Kunst.
Auch die technische Seite der Herstellung dieser Bilder beinhaltet eine Aussage. Der Scanner ist ein Reproduktionsinstrument, mit dem sich Originale vervielfältigen und damit sichern lassen. Die Scannogramme von Luzia Simons sind somit schon aufgrund dieser Technik eine Art Bestandsaufnahme. „Stockage“ nennt sie ihre Arbeiten, auf deutsch: Speicher, Aufbewahrung, Lagerung, – eine Bestandsaufnahme dessen, was die Natur uns schenkt, was aber dem Verfall anheimgegeben ist: Blumen verwelken, ein Aspekt, der sich gleichfalls in diesen „Bestandsaufnahmen“ findet. Welke Blätter, abgefallene Blütenblätter gehören zu diesen Blumenporträts ebenso wie der Eindruck des prallen und scheinbar unzerstörbaren Lebens: Obwohl es sich um Bestandsaufnahmen von Naturprodukten handelt, lautet die Botschaft dieser Bilder zugleich auch: Leben und Sterben, Sein und Nichtsein. Es sind bildnerische Gratwanderungen philosophischer Grundgedanken.
Stockage 184_5/5, 2019 © Luzia Simons / VG Bild-Kunst, Bonn
Doch im Unterschied zu botanischen Lehrbüchern früherer Epochen, in denen Blumen ebenfalls bildnerisch „aufbewahrt“ wurden, sind die Blumen auf Luzia Simons‘ Bildern wie zufällig angeordnet. Damit sind die Bilder eine Art Symbol des Zufalls, der gleichfalls zum Wesen des natürlichen Lebens gehört. Und damit sind die Bilder zugleich der Versuch, dem natürlichen Vergehen einen Gegenpol entgegenzusetzen: Leben und Tod, Dauer und Vergänglichkeit sind Aspekte ein und desselben Phänomens.
Und damit hat der Betrachter Bilder ganz eigener Art vor sich, die weit über das Bewahren des Vorgefundenen hinausgeht. Es sind Symbole des Lebens – und damit reihen sie sich wiederum vorzüglich ein in die große Tradition, in der auch die Blumenstillleben eines Jan Brueghel vor vierhundert Jahren stehen.
„Luzia Simons. Über die Vergänglichkeit hinaus“, Galerie Schlichtenmaier, Schloss Dätzingen bis 23.11.2024.