Abstrakte Malerei und gegenständliche Darstellung scheinen Widersprüche, wie sie größer nicht sein könnten – die eine losgelöst von jeder Welthaftigkeit, die andere ohne Verhaftung in der bekannten Welt nicht vorstellbar. Und doch können die Grenzen zwischen fließend sein. Das Foto einer Waldlichtung, am Computer manipuliert, kann zur abstrakten Zeichnung mutieren wie bei dem Fotografen Josh von Staudach, und in einer grasgrün bedruckten Glasscheibe kann man unschwer das Abbild einer Wiese sehen wie bei Claudia Thorban.
In der Tat steht bei ihren Arbeiten die Natur nicht nur Pate in einem allgemeinen Sinn – Natur ist bei ihr Inbegriff ihrer Kunst. In ihrem großen Garten fotografiert sie das, was ihr am Herzen liegt – im Atelier wird aus dem fotografischen Abbild Kunst. Das können Drucke auf Acrylglas sein – freilich nicht im Verhältnis eins zu eins. Claudia Thorban vergrößert Details ins Riesenhafte: Ein Farnblatt kann geradezu bedrohlich wirken, von einem Grashalm bleibt nicht viel mehr zurück als eine Linie – Natur wird zur Graphik, die Farbe des Gartens zur reinen Malerei, die Wiese zum reinen Grün – oder umgekehrt im Auge des Betrachters: Das Grasgrün der Acrylfläche erweckt den Eindruck einer Wiese. Beide Perspektiven sind unzutreffend und doch zugleich auch wieder richtig.
Wenn der Drucker dabei „Fehler“ macht, den Ausdruck verwischt, ergeben sich neue Bilder, die noch weiter von der Naturvorlage entfernt zu sein scheinen und beim Betrachter die Vision einer Alptraumnatur hervorrufen; wenn Claudia Thorban auf dem Schwarzweißkopiergerät Pflanzenteile riesenhaft vergrößert und die großen Kopien dann auf dem Boden mit den Schuhen traktiert, wird zum Bild, was tagtäglich in der Natur geschieht: Der Fuß des Gärtners hinterlässt Spuren in der Natur, die er pflegt.
Claudia Thorban: Farn1
Claudia Thorbans Arbeiten regen zum Philosophieren an – über Natürlichkeit und Künstlichkeit, über Perspektive und Wahrnehmung, über Lebenswirklichkeit und Kunstbild.
Noch näher an der Wirklichkeit scheint der Betrachter bei den Fotografien von Josh von Staudach zu sein. Was sich dem Auge auf einem mehr als einen Meter breiten Fotostreifen bietet, scheint das realistische Abbild eines Waldausschnitts zu sein, und von Staudach verstärkt den Eindruck noch durch seine Bildtitel: „Kräherwald“, „Pfaffenwald“. Der Fotograf als Dokumentarist seiner näheren Umgebung? Der Eindruck könnte stimmen, zumal er auch zum Mittel des Panoramas greift, das ja einen umfassenden Ausschnitt aus dem Landschaftsganzen präsentieren kann. Und doch führt der Begriff in die Irre. Josh von Staudach baut seine Panoramen aus Einzelfotos zusammen, die er am Computer dann überlagert. So ergibt sich auf den ersten Blick der Eindruck eines lückenlosen Panoramas, bei genauerem Hinsehen aber bemerkt man, dass sich einige Bildteile wiederholen – mal prägnanter in der Farbintensität, mal gerade gespenstisch wie ein Schemen. Je länger man diese Bilder betrachtet, umso mehr stellt man seine Wahrnehmung in Frage – ähnlich wie bei den stark vergrößerten Fotoausschnitten von Claudia Thorban.
Gelegentlich dreht Josh von Staudach die Kamera auf den Rücken, fotografiert also das Waldstück mit Blick in den Himmel, der am Ende aussieht wie eine riesengroße Pupille oder die Rosette einer Kathedrale:
Josh von Staudach: Kräherwald
Aus Landschaft wird Architektur, aus Baumzweigen werden rein graphische Linien. Der Eindruck des Naturausschnitts kippt um in ein künstliches Gebilde aus Linien und Farben.
So mischen sich bei Claudia Thorban und Josh von Staudach natürliche Vorlage und künstliche Verfremdung zu einer ganz eigenen Realität – man kann sie Natur-Kunst nennen oder auch, je nach Perspektive, Kunst-Natur.
„Claudia Thorban, Josh von Staudach – Blick Felder“ bis 12.3.2016. Galerie Schacher – Raum für Kunst. 70176 Stuttgart Galerienhaus Breitscheidstr. 48