Weltberühmt wurde er mit dem Roman Das Boot. Darin verarbeitete Lothar-Günther Buchheim seine Kriegserlebnisse auf einem U-Boot. Es wurde in achtzehn Sprachen übersetzt und verfilmt. Doch früh schon trat er auch als Künstler hervor, galt als malendes Wunderkind, schrieb Bücher über Picasso, Braque, vor allem über die deutschen Expressionisten, gründete einen Kunstverlag – und sammelte. Das Ergebnis, somit sein Lebenswerk, brachte er in einem spektakulären Museum, am Ufer des Starnberger Sees unter, das inoffiziell als Buchheim Museum firmiert, offiziell Museum der Fantasie heißt.
Christian Rohlfs, In Andechs. Um 1924 © Buchheim Museum der Phantasie, Bernried am Starnberger See/Langfristige Leihgabe aus Privatsammlung
Dabei ist es in erster Linie ein Kunstmuseum, genauer ein Museum für expressionistische Kunst. In einem riesigen Ausstellungssaal hat Buchheim die großen Namen versammelt – Heckel, Schmidt-Rottluff, Kirchner -, aber, und das macht die Auswahl bemerkenswert, auch weniger bekannte Maler wie Pechstein, Münter und Rohlfs, dessen Ansicht von Kloster Andechs zeigt, wie nahe diese Künstler, die in der Farbe schwelgten, der Abstraktion standen.
Eine Kunsthalle ist hier also entstanden, mit genügend Raum für Sonderausstellungen, derzeit besonders herausragend mit Holzschnitten des Japaners Sutemi Kubo. Daniel Schreiber, der das Museum seit fünf Jahren leitet, hätte keine bessere Wahl treffen können, denn Kubo wurde stark durch Buchheims Expressionistensammlung inspiriert, die 1984 in Japan gastierte. Meine Brücke lautet denn beziehungsvoll der Titel der Ausstellung, in der es um grundsätzliche Fragen der Existenz geht, um das Ich, um Mensch und Natur. Ein Blatt zeigt einen dünnen Mann neben einem ebenso dünnen Bäumchen: „Du lebst, ich lebe auch“, so der Titel.
Doch ein Kunstliebhaber, der sich dem Museum nähert, dürfte erst einmal einen kleinen Kulturschock erleben. Zwei Giraffen aus rohen Baumstämmen empfangen ihn, ein kleiner Pavillon aus Eisen, ein grell bemalter Hubschrauber. Und dieses Sammelsurium setzt sich im Haus fort. Glänzende Schalen aus lackiertem Bambus begrüßen den Besucher im Innenraum, ein Schwan, der einmal als Kabine eines Kettenkarussells fungierte. Buchheim kaufte ihn und ließ ihn von Angelika Littwin-Pieper mit Figuren besiedeln. Ein Kuriosum? Gewiss, aber eines mit Hintersinn, denn unter den Passagieren findet sich auch ein scharzgekleideter Mann mit jener schlappen Kappe, wie Richard Wagner eine trug: Der Komponist lässt sich wie seine Opernfigur Lohengrin von einem Schwan transportieren!
Solche subtilen Bezüge machen das Museum zu einer aufregenden Besonderheit. So finden sich im Obergeschoss Skulpturen von Künstlern, die der naiven Kunst zugerechnet werden. Und schon wird eine Brücke zu der Expressionistenausstellung geschlagen, denn solche „primitive“ Kunst, wie sie damals genannt wurde, inspirierte die Expressionisten zu ihren abstrahierten Figuren. Ebenso die fremde Welt Ostasiens. Daher macht es Sinn, dass ein Saal dem asiatischen Schattentheater gewidmet ist, und man meint, die vor erleuchtetem Milchglas postierten Figuren könnten sich sogleich in Bewegung versetzen.
So wird der Besucher eingeführt in Zusammenhänge der Kunstgeschichte. Er kann seine Assoziationen spielen lassen. Die große Sammlung von Paperweights, wie sie hier in Vitrinen aus Spiegelglas präsentiert werden, wirkt wie ein geheimnisvolles Glaskabinett, eine Ali-Baba-Höhle, und auch wenn diese Objekte eher der Gebrauchskunst zugerechnet werden, entwickeln sie hier einen Zauber, der dem der Kunst sehr nahe kommt.
Wie auch die Tiere, die Buchheims Ehefrau Diethild geschaffen hatte. Sie, die von sich behauptet hatte, nicht malen zu können – im Gegensatz zu ihrem Mann – collagierte auf Papier braune, abgetrocknete Baumblätter zu fantasiereichen Gestalten und fand im Laub ihr Medium. Und der Besucher kann in Gedanken der Frage nachspüren, was denn im 20. Jahrhundert Künstlertum bedeutet. Letztlich, so will das Museum sagen, kann alles Kunst werden, und so hat Daniel Schreiber das Buchheimsche Museum ideal weitergeführt, indem er aus Buchheims ehemaligem Wohnhaus Mobiliar zu einer Art virtueller Künstlerwohnung zusammenstellte. Da finden sich schlichte Gebrauchsobjekte wie alte Esszimmerschränke, Bücherregale – natürlich auch mit noch in Plastikfolie eingeschweißten Exemplaren von Buchheims Büchern -, und natürlich die Paperweights. Einige Tische und Stühle wurden wie der Schwan im Entree zum Museum mit Figuren versehen und in ein kleines Café der Fantasie verwandelt.
Denn das ist der Begriff, der nicht nur dem Museum den Namen gibt, sondern alles so divergent Wirkende zur Einheit verschweißt. Und Architekt Günter Behnisch hat dafür ein ideales Haus entworfen – ein Labyrinth aus hochmodernen Gebäudeteilen, in denen sich der Besucher verlieren kann. Es wirkt im Verein mit den Exponaten wie ein Gang durch die Windungen des Gehirns, in denen ja auch die verschiedensten Bereiche neben-, vor allem aber miteinander existieren und in Beziehung zueinander treten. Es ist ein Museum des Denkens, des künstlerischen zumal, und es fordert den Besucher auf, seine üblichen Grenzen des Denkens zu überwinden. Die unterschiedlichsten Assoziationen können hier in Gang kommen, man muss sie nur lassen. Es ist ein Museum der Kuriositäten in des Wortes bester Bedeutung, denn es leitet sich vom lateinischen curiositas her, und das bedeutet Neugier, die Grundvoraussetzung jeder Kunst.
Museum der Fantasie. Am Hirschgarten 1, Bernried