Er war Arzt, und als solcher angetreten, das Leiden der Menschen zu mindern, Leben zu retten, Zukunft zu ermöglichen: Franz Georg Ludwig (genannt Lovis) Gremliza. Nach Schwenningen verschlug es ihn kurz vor Kriegsende, und auch wenn sein Wirken in dieser Stadt nur wenige Jahre währte, so sollte sein Einsatz hier Folgen bis in die Gegenwart haben, denn Gremliza beschränkte sein Engagement nicht auf den Leib der Patienten, sondern kümmerte sich gleichermaßen um deren seelisches und kulturelles Wohlergehen. Die Städtische Galerie in Schwenningen gäbe es ohne ihn möglicherweise nicht, jetzt würdigt sie sein Engagement in einer Ausstellung.
Mit Gertraud Rostosky fing alles an. Gremliza hatte sie in Würzburg kennengelernt, wo er in den 30er Jahren als Arzt tätig war und in der von der Malerin betreuten Künstlerkolonie aus und ein gegangen war. Jetzt holte er die Künstlerin in seine neue Heimat, richtete ihr eine erste Ausstellung in Schwenningen aus. Das hätte er freilich nicht tun können, hätte sich nicht der Chef der französischen Militärregierung in Tübingen, Guillaume Widmer, mit dem Auftrag an ihn gewandt, das von den Franzosen ins Leben gerufene Centre d’information in Schwenningen zu leiten.
Er hätte sich keinen Besseren wählen können, denn Gremliza war frankophil – und er war engagiert. Schon am 1. Mai 1945 hatte er den „Samowar“ gegründet, ein Flugblatt, in dem sich Schriftsteller wie Max Dauthendey gegen den Krieg, den Hass und für eine hoffnungsvolle Zukunft einsetzten. Mit dem Centre d’information sollte Gremliza dieses Werk auf dem Gebiet der bildenden Kunst weiterführen. Mit Rostosky, Otto Dix, Erich Heckel und anderen entfaltete er in Schwenningen ein frühes Kulturleben, das seinen Niederschlag in Ausstellungen fand und alsbald eine rege Publikationstätigkeit entwickelte. Von all diesen Künstlern ließ Gremliza Mappen drucken – erste Verdienstmöglichkeit für viele von ihnen nach Jahren der Ausgrenzung, frühe Verbreitungsmöglichkeit für Kunst nach dem Kunstdiktat der Nazis.
Einer dieser Künstler, Wilhelm Schnarrenberger, brachte ihn auf die Idee dazu, 1947 erschien die erste Mappe mit Lithographien von Gertraud Rostosky. Dix schuf insgesamt dreißig Lithos, Werner Gothein, ein Schüler Ernst Ludwig Kirchners, gleich mehrere Zyklen. Es sind höchst unterschiedliche Ausdrucksstile, die sich da in der alsbald „Lovis-Presse“ genannten Reihe zusammenfanden: Städtebilder und Landschaften von Rostosky, ein Zyklus über das Schweißtuch der Veronika von Otto Dix, Szenen aus dem Zirkusleben von Gothein.
Stark eineinhalb Jahre existierte diese Presse, eine der ersten Künstlereditionen nach dem 2. Weltkrieg überhaupt, künstlerisch vielseitig und doch geschlossen, denn all diese Künstler blieben der gegenständlichen Darstellung treu; doch mit welchen Unterschieden! Walter Herzger schuf vor allem im Holzschnitt stark abstrahierte Tierbilder von hintergründigem Witz.
Otto Dix erwies sich als souveräner Porträtist im Medium der Lithographie, Werner Gothein reduzierte den Holzschnitt auf wenige dicke Balken.
1949 überwarf sich der Arzt Gremliza mit seinen Schwenninger Kollegen und verließ die Stadt. Die Lovis-Presse beendete ihr kurzes, aber wirkungsvolles Tun, Gremliza aber blieb der Kunstleidenschaft treu, sammelte weiterhin die von ihm geschätzten Künstler – und schenkte der Stadt seiner „Lovis-Presse“ einige seiner Kunstschätze: Ein Grundstock zur Städtischen Kunstsammlung war gelegt – und mit seinem Engagement im Auftrag der französischen Militärregierung zugleich die Keimzelle zur späteren Städtischen Galerie, die es möglicherweise ohne ihn nicht geben würde und die ihm zu Ehren den Untertitel „Lovis-Kabinett“ trägt.
Die Stadt ihrerseits blieb den Künstlern der Lovis-Presse treu, erwarb weitere Werke von ihnen – die jetzt die Drucke der Lovis-Presse in einer Ausstellung von rund 140 Werken ergänzen. Der Neuanfang nach 1945 wirkt bis heute nach. Gremliza hätte sicher seine Freude daran gehabt.
„70 Jahre Lovis-Presse Schwenningen 1947-1949“, Städtische Galerie Villingen-Schwenningen „Lovis-Kabinett“ bis 12.3.2017