Es gibt zahlreiche Bildhauer, die auch zeichnen, doch in der Regel stehen sich Zeichnung und Skulptur diametral entgegen. Die Zeichnung lebt von der Linie, dem dünnsten, vielleicht auch fragilsten, intimsten Ausdrucksmedium überhaupt, kommt ihr Gedanke doch über die Hand unmittelbar aus dem Kopf. Die Plastik ist ein Gebilde im dreidimensionalen Raum und wird meist aus Materialien geschaffen, die dem menschlichen Körper fremd sind: Stein, Metall. Daher empfinden sich Bildhauer, die auch zeichnen, doch vom Wesen her als plastische Künstler. Bei dem 1953 in Ravensburg geborenen Robert Schad fällt eine solche Unterscheidung schwer, wie eine Ausstellung im Kunstmuseum Ravensburg zeigt.
So beginnt der Katalog zu dieser Präsentation denn auch nicht mit der Bildwiedergabe einiger seiner zentralen Werke – etwa dem Stuttgarter Weg, einer weit über hundert Meter langen Stahlinstallation im unterirdischen Gang zwischen dem Abgeordnetenhaus und dem Landtag in Stuttgart, sondern mit Fotos seiner Hand in Großaufnahme. Zwischen Daumen und Zeigefinger hält diese Hand ein Stück Kreide, mit dem sie auf dunklem Grund feinnervig Linien zieht – ein ideales Entree für einen Graphiker, nicht für einen Bildhauer, und doch hätte man sich als Hinführung zu Robert Schad keinen besseren Anfang einfallen lassen können, denn mit diesen Strichen ist das Wesen seiner Kunst perfekt charakterisiert.
Der Bildhauer Schad arbeitet nicht mit Volumina, mit Körpern, ob hohl oder kompakt, Schad arbeitet mit Linien. Seit Jahrzehnten hat er ein einziges Ausdrucksmittel für seine Raumplastiken: den sechs Millimeter dicken Vierkantstahl, also nichts anderes als eine Linie aus Stahl. Diese Linie wird gebogen, geknickt, geradeaus geführt, zu Ecken geformt, aber sie bleibt eine Linie.
Schad hat in Karlsruhe unter anderem bei Albrecht von Hancke studiert, einem Graphiker, der seine Blätter nicht selten mit kurzen Strichen abfüllte und damit menschliche Körper in ihrer ganzen Fragilität gestaltete. Bei Schad ist davon gewissermaßen die einzelne Linie übriggeblieben, die sich aus Kreide über Papier zieht oder aber in Stahl durch den Raum erstreckt. Schad ist ein Zeichner unter den Bildhauern, er zeichnet in den Raum.
Die Gebilde aus diesen Stahllinien können sehr groß sein, wirken aber nie überdimensional; auch wenn sie mehrere Meter hoch sind, erinnern sie stets an Körper, an Gliedmaßen. Auch das liegt an ihrer Herkunft aus der Linie, die Schad immer auch auf Papier oder Karton entwickelt. Daher wirken diese Arbeiten bei aller Größe fast intim, es ist, als stünden wir vor einer in den Raum eingeschriebenen geheimnisvollen Schrift, die es nur zu entziffern gilt. Schad gelang die Quadratur des Kreises: Er kreierte eine Raumkunst, die zugleich intimer Ausdruck der kreativen Hand ist. Die Linie, so sagte er einmal, sei Chiffre seiner körperlichen Befindlichkeit.
So befindet sich eine Arbeit in der Ausstellung, die vage an ein Auge erinnert – Ausfluss einer gefährlichen Augenerkrankung des Künstlers. Die Stahlskulptur als intimes Tagebuch.
Auch wenn Schad handwerklich mit Stahl und Schweißgerät arbeitet, bleiben seine Werke doch stets gedanklich ganz dicht bei der zeichnenden Hand, aus der heraus nervös, jeder inneren Wendung folgend, die Linie sich fortschreibt. So hat er den Abgeordneten in Stuttgart den Weg vom Büro zum Landtag unter der Erde gewissermaßen vorgezeichnet, so hat er für einen Brunnen auf dem Marienplatz in Ravensburg den Wasserfontänen die Richtung linear vorgegeben, so entwickelt er mal kompakte, mal in sich ruhende, mal gewaltig in die Höhe schießende Gebilde, die abstrakte Plastik und menschlicher Körper zugleich sind.
Durch die Wendungen und Windungen, die diese Stahllinien in den Raum zeichnen, wirken seine Skulpturen wie in ständiger Bewegung – und sind zugleich doch starr, wie es sich für eine Plastik gehört. Seine Werke sind geronnene Bewegung.
Für die Ravensburger Ausstellung hat er eigens Werke geschaffen, die den Raum mit seinen Deckenwölbungen aus braunem Ziegelstein aufgreifen. Daher war ihm sofort klar, dass die Plastiken von Anfang an rostig sein mussten.
Schad überbrückt Kontraste: Er ist raumschaffender Künstler und also Bildhauer, zugleich ist er intimer Zeichner, der ganz aus dem Augenblick heraus gestaltet, er arbeitet dreidimensional mit einem zweidimensionalen Ausdruckselement, er lässt als Zeichner die Linie Raum werden, er ist nicht ein Bildhauerzeichner, sondern ein Zeichnerbildhauer.
„Robert Schad. Durch Zeit und Raum“. Kunstmuseum Ravensburg bis 11.6.2017